Sieben Helfer getötet Netanyahu gesteht "unbeabsichtigten Angriff" in Gaza ein
Sieben Mitarbeiter einer Hilfsorganisation wurden bei einem Luftangriff im Gazastreifen getötet. Israels Regierungschef Netanyahu räumte nun die Verantwortung dafür ein. Zypern stoppte vorläufig Hilfslieferungen per Schiff.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat die Verantwortung des israelischen Militärs für einen tödlichen Angriff auf Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) im Gazastreifen eingeräumt.
Netanyahu sprach von einem "tragischen Vorfall" und einem "unbeabsichtigten Angriff unserer Streitkräfte auf unschuldige Menschen im Gazastreifen". "Das passiert im Krieg, wir prüfen es gründlich", so Netanyahu. Seine Regierung stehe mit den Regierungen der betroffenen Personen in Kontakt und werde "alles tun, damit so etwas nicht noch einmal passiert".
Zuvor hatte die Armee bereits eine Untersuchung angekündigt. "Dies wird uns dabei helfen, die Gefahr zu verringern, dass sich so ein Vorfall wiederholt", sagte Armeesprecher Daniel Hagari. Er sprach dabei von einer Untersuchung durch ein unabhängiges und professionelles Expertengremium. Weiter sagte er, er habe mit dem WCK-Gründer Chef José Andrés gesprochen und ihm das "tiefste Beileid der israelischen Verteidigungskräfte gegenüber den Familien und der ganzen WCK-Familie ausgesprochen".
IDF soll Terrorist in Konvoi vermutet haben
Die israelische Zeitung "Haaretz" berichtete, die Streitkräfte hätten den Hilfskonvoi am Montagabend wegen der Vermutung attackiert, ein Terrorist sei mit ihm unterwegs gewesen. Das Medium berief sich auf die Angaben von nicht näher genannten Verteidigungsbeamten.
Eine Einheit, die für die Sicherheit der vom Konvoi befahrenen Straße verantwortlich ist, hatte demnach zuvor einen bewaffneten Mann auf einem Lastwagen identifiziert. Der von Fahrzeugen des WCK eskortierte Lastwagen sei dann in eine Lagerhalle gefahren. Wenige Minuten später hätten die drei Fahrzeuge der Hilfsorganisation die Lagerhalle wieder verlassen - jedoch ohne den Lastwagen, auf dem sich der Bewaffnete befunden haben soll.
Eine israelische Drohne habe schließlich nacheinander drei Raketen auf den Konvoi gefeuert. Einige Helfer seien aus dem zuerst angegriffenen Wagen in eines der beiden anderen Fahrzeuge geflüchtet, hieß es weiter. Wenige Sekunden später wurde dem Bericht zufolge dann auch dieses getroffen. Die Überlebenden hätten die Verwundeten dann zum dritten Wagen gebracht, das schließlich ebenfalls angegriffen worden sei.
WCK stellt Arbeit im Gazastreifen ein
Die US-Organisation WCK hatte am Morgen den Tod der sieben Mitarbeiter bestätigt. WCK sei mit einem Konvoi aus zwei gepanzerten Fahrzeugen mit dem Logo der Hilfsorganisation und einem ungepanzerten Fahrzeug unterwegs gewesen.
Menschen inspizieren den Ort, an dem die Mitarbeiter der World Central Kitchen getötet wurden. Der Luftangriff traf ein Auto der Organisation.
Die Organisation erklärte, der Konvoi sei "trotz Koordinierung der Bewegungen mit der IDF (israelischen Armee)" getroffen worden, als er das Lagerhaus in Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens verlassen habe. Das Team habe dort Hundert Tonnen Nothilfe abgeladen, die auf dem Seeweg geliefert worden seien. Die Organisation kündigte an, ihre Arbeit im Gazastreifen vorerst einzustellen.
Die Opfer stammten nach Angaben der Hilfsorganisation zum einen aus Australien, Polen und Großbritannien. Außerdem zählten zu ihnen ein Mensch mit doppelter Staatsangehörigkeit aus den USA und Kanada sowie mehrere Palästinenser.
Staaten fordern Aufklärung
Der Tod der Mitarbeiter löste international Entsetzen aus. Die britische Regierung bestellte als Reaktion den israelischen Botschafter ein. Er habe dem Botschafter deutlich gemacht, dass die britische Regierung "die entsetzliche Tötung" der sieben Beschäftigten, darunter drei britische Staatsbürger, scharf verurteile, sagte der zuständige Staatsminister Andrew Mitchell einer Mitteilung zufolge. Außenminister David Cameron nannte den Vorfall in einem Post auf der Plattform X "völlig inakzeptabel".
EU-Chefdiplomat Josep Borrell schrieb ebenfalls auf X: "Ich verurteile den Angriff und fordere eine Untersuchung." Trotz aller Forderungen zum Schutz von Zivilisten und humanitären Helfern gebe es neue unschuldige Opfer.
Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski erklärte auf der Plattform: "Ich habe den israelischen Botschafter Yacov Livne persönlich um dringende Erklärungen gebeten." Polen sei "mit der mangelnden Einhaltung des humanitären Völkerrechts und des Schutzes der Zivilbevölkerung, einschließlich humanitärer Helfer, nicht einverstanden", erklärte das polnische Außenministerium.
"Das ist vollkommen inakzeptabel", sagte der australische Regierungschef Anthony Albanese. "Wir verlangen vollständige Rechenschaft." Er bestätigte den Tod der australischen Helferin Lalzawmi "Zomi" Frankcom. Die junge Frau ist auf einem Video vom 25. März zu sehen, wie sie erklärt, dass sie "wunderbar duftenden Reis" an die Hilfsbedürftigen austeilen werde.
Schiffe mit Hilfslieferungen kehren um
Nach dem Angriff wurde vorläufig auch die Anlieferung von Hilfsgütern per Schiff gestoppt. Die in den Gazastreifen geschickten Hilfsschiffe kehrten zurück nach Zypern. An Bord seien noch etwa 240 Tonnen Hilfsgüter, die nicht verteilt worden seien. Etwa 100 Tonnen Hilfsgüter seien zuvor von World Central Kitchen entladen worden, erklärte das zypriotische Außenministerium. Die Hilfslieferungen sollten "so bald wie möglich" wieder starten, so ein Sprecher des Ministeriums.
Der zyprische Präsident Nikos Christodoulidis und EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, die sich am morgen in Nikosia getroffen hatten, verurteilten den Angriff scharf - plädierten jedoch auch dafür, dass die Hilfe für die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen darunter nicht leiden dürfe. "Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln, um mehr Hilfe nach Gaza zu schicken", sagte Christodoulidis. Weitere Hilfen könnten noch vor Ende April auf den Weg gebracht werden, sagte er.
WCK liefert Lebensmittel und bereitet Mahlzeiten für Bedürftige zu. Nach eigenen Angaben verteilte die Organisation im vergangenen Monat in 175 Tagen mehr als 42 Millionen Mahlzeiten im Gazastreifen.