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Europawahl 2024

Alberto Nunez Feijoo spricht im EU-Wahlkampf vor Anhängern in Madrid (Spanien)
Europawahl

EU-Wahlkampf in Spanien Harte Konfrontation - aber nicht wegen Europa

Stand: 05.06.2024 16:49 Uhr

Spaniens Parteien attackieren einander hart im EU-Wahlkampf. Doch ihre Themen sind vor allem innenpolitisch und haben wenig mit der EU zu tun. Die Wähler interessieren sich dagegen für andere Fragen.

Zum Wahlkampfauftakt der spanischen Konservativen, der Partido Popular, schwenken die Anhänger eifrig Fahnen, allerdings deutlich mehr rot-gelbe Spanienflaggen als Europafahnen.

Rund um eines der Madrider Stadttore, die Puerta de Alcalá im Zentrum der spanischen Hauptstadt, jubeln sie Parteichef Alberto Nuñez Feijóo zu, als er gegen den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez von den Sozialisten, den spanischen Sozialdemokraten, wettert.

Und gegen die Amnestie, die Sánchez linkes Regierungsbündnis für katalanische Separatisten durchgesetzt hat. Sánchez sei nicht allein der Staat, ruft Feijóo. "Wir alle sind Spanien, das wollen wir betonen. Und wir fordern, dass das Amnestiegesetz zurückgenommen wird und die Spanier erneut wählen dürfen."

Womit eine Neuwahl in Spanien gemeint ist - nicht etwa die anstehende Europawahl.

Auch Sánchez bemüht die Innenpolitik

Bei Wahlkampf-Events kontert Sánchez, er wolle weitere drei Jahre bis zum Ende der Legislatur regieren. Und: seine Partei, die PSOE, werde die Europawahl gewinnen: "Die PSOE wird die Rechten und die Rechtsextremen stoppen, so wie wir es in Spanien geschafft haben, wird es uns auch in Europa gelingen."

Dabei hatten bei der jüngsten spanischen Parlamentswahl vor fast genau einem Jahr die Konservativen knapp gewonnen, aber keine Mehrheit im Abgeordnetenhaus zusammenbekommen.

Fragen, "die nichts mit der EU zu tun haben"

Spaniens Europawahlkampf scheint mit Europa wenig zu tun zu haben. Politikwissenschaftler Pablo Simón von der Universität Carlos III in Madrid hat schon vorab damit gerechnet, dass der 9. Juni eher eine Volksabstimmung über die Politik der Regierung Sánchez wird, bei der die Konservativen versuchen, den Vorsprung vor den Sozialisten auszubauen und die Sozialisten versuchen aufzuholen.

"Deshalb wird es ein merkwürdiges Paradoxon geben", so Simón, "nämlich, dass wir über die Amnestie, über die Separatisten in Katalonien und über die spanische Regierung reden. Über Fragen also, die absolut nichts mit der Europäischen Union zu tun haben."

Was den Wählern wichtig ist

Dabei wäre das Wahlvolk durchaus an Inhalten interessiert. Im jüngsten Stimmungsbarometer des der Regierung nahestehenden Institutes für Soziologische Studien CIS vom Mai 2024 sehen die meisten Spanierinnen und Spanier die größten Probleme ihres Landes in Arbeitslosigkeit und Wirtschaftslage.

Weit oben auf Platz vier der Liste der Probleme landet das schlechte Verhalten der Politiker. Nur ganz weit unten auf dem 52. Platz ist das Amnestiegesetz.

Der Klimawandel ist auf Platz 13. Und das obwohl vor allem die spanischen Provinzen am Mittelmeer in den vergangenen Jahren mit heftigen Dürren kämpfen mussten. Dort, wo auch viele Touristen dafür sorgen, dass in der Küstenregion pro Kopf mehr Wasser verbraucht wird als anderswo.

Und auch von einem weiteren Europa-Thema ist Spanien als Land an der EU-Außengrenze massiv betroffen: von der irregulären Migration.

In den ersten fünf Monaten dieses Jahres kamen laut Informationen des spanischen Innenministeriums knapp 22.000 Migrantinnen und Migranten in Spanien an, mehr als doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die allermeisten kamen über die derzeit hoch frequentierte und besonders gefährliche Fluchtroute über die Kanaren.

Vox versammelt Europas Rechtspopulisten

Das Thema Migration - auf Platz sieben des CIS-Themenrankings - haben die spanischen Rechtspopulisten der Partei Vox fest auf der Agenda. Aber die steigenden Migrationszahlen bescheren der Partei keine extremen Höhenflüge.

In den jüngsten Umfragen zur Europawahl kommt Vox auf um die zehn Prozent. Das sind um die vier Punkte mehr als bei der Europawahl 2019, aber etwa zwei Punkte weniger als bei der spanischen Parlamentswahl vor einem Jahr.

Dennoch will Vox zum erwarteten Erstarken der Rechten im Europaparlament beitragen. Zum Wahlkampfauftakt vor 11.000 Anhängern Mitte Mai in Madrid kam viel rechte Prominenz. Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National erschien persönlich, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni grüßte per Videobotschaft.

Der argentinische Präsident Javier Milei wurde geradezu wie ein Rockstar gefeiert. Sozialismus führe zu "Sklaverei oder Tod", rief Milei der Menge zu. Und Vox-Chef Santiago Abascal dankte ihm für "den Schrecken, den Du den Linken eingejagt hast".

Wieder eine hohe Wahlbeteiligung?

Ob auf den letzten Metern des Wahlkampfs im rechts-links polarisierten Spanien doch noch mehr inhaltlich gestritten wird, ist fraglich. Klar ist für Politikwissenschaftler Pablo Simón, dass Europa in Spanien gut angesehen ist. Nach der Diktatur sei Europa ein Lichtblick für Spanien gewesen. Und Spanien profitiere von EU-Geldern.

"Wir sind eines der proeuropäischsten Länder, und daher werden Parteien, die reaktionäre oder euroskeptische Positionen vertreten, nur geringe Chancen auf Sitze haben." Gut 90 bis 95 Prozent der Abgeordneten, die Spanien ins Parlament schicken werde, kalkuliert Simón, seien proeuropäisch.

Ob sich das auch in einer hohen Wahlbeteiligung ausdrückt, ist schwer kalkulierbar: Zuletzt lag sie bei rund 60 Prozent und damit deutlich über dem EU-Durchschnitt von um die 50 Prozent.

Wenn die Spanierinnen und Spanier am Sonntag wieder zahlreich wählen gehen, dann vermutlich eher aus Sympathie mit der EU als wegen des spanischen EU-Wahlkampfs.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 03. Juni 2024 um 16:54 Uhr.