Europawahl 2024
Europawahl 2024 Diese fünf Lehren lassen sich aus der Wahl ziehen
Die Union behauptet sich, profitiert aber kaum vom Ampel-Frust. AfD und BSW sind für viele attraktiv - vor allem im Osten: Was heißt das für den Bund und die Landtagswahlen im Herbst?
Von wegen Nebenwahl
Die Europawahl wurde von Politikwissenschaftlern lange als "Nebenwahl" eingestuft. Sie spiele sich ab "in einem Dreieck des Desinteresses zwischen Parteien, Medien und Wahlberechtigten", schrieb die Politikanalystin Bettina Westle vor ein paar Jahren.
Das scheint Geschichte: Die Europawahl wird stattdessen immer mehr zu einer "Hauptwahl" - mit einer Wahlbeteiligung bei rund 65 Prozent, ähnlich der vieler Landtagswahlen.
Das größere Interesse deutete sich schon in Vorwahlbefragungen an. Woran könnte das liegen? Eine erste Analyse könnte sein, dass das Thema Friedenssicherung, das von vielen Befragten als wahlentscheidend angegeben wurde, womöglich als europäisches Thema gesehen wird.
Ampel-Parteien können nicht mit Kernthemen punkten
Die drei Ampel-Parteien bleiben am Wahlabend zerknirscht zurück. Sie konnten mit ihren Kernthemen offensichtlich viele Wählerinnen und Wähler nicht überzeugen. Bei der SPD spielte im Wahlkampf das Thema Krieg und Frieden eine große Rolle. Sie präsentierte Kanzler Olaf Scholz gar als "Friedenskanzler". Doch beides zog nicht, trotz der Bedeutung des Themas für viele Wähler.
Beim Thema soziale Gerechtigkeit trauen manche der SPD nicht mehr viel zu - ebenso bei der Fähigkeit, Probleme zu lösen. So schnitt die SPD noch schlechter ab als bei der Europawahl 2019. Es ist ein bitteres Zeugnis für die Sozialdemokraten, die in der Koalition nun noch mehr für ihre Themen kämpfen wollen, wie es in der Parteizentrale als erstes Fazit heißt. Es würde bedeuten, dass die anstehenden Haushaltsverhandlungen härter denn je werden.
Auch die Grünen kämpfen damit, dass ihr Kernthema Klimaschutz anders als 2019 nicht mehr als großes Zugpferd taugt. Zwar war das Thema für die eigenen Anhänger das mit Abstand wichtigste Thema in diesem Wahlkampf. Doch außerhalb der grünen Kernklientel dominierten andere Themen.
Aus Parteikreisen hört man sogar die Vermutung, dass zu viele Klima-Slogans Wähler abschrecken könnten. Die Grünen müssen also für das weitere Wahljahr noch tiefer in den Themen-Spagat gehen: etwa mehr sozialpolitische Forderungen stellen, um Wechselwähler anzusprechen - aber für die grüne Basis weiterhin den Klimaschutz thematisieren.
Die FDP sei "erleichtert", so ihr Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, dass sie überhaupt fünf Prozent der Stimmen bekommen habe. Die Liberalen hätten schlechtere Ergebnisse erwartet. Doch auch wenn die Sorge um die wirtschaftliche Lage in Deutschland immer größer wird, half dies der FDP nicht.
Ihr Wahlkampf war zwar auch auf Wirtschaftsthemen fokussiert, aber ihre Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann steht vor allem für Verteidigungspolitik. Deren laute Wahlkampftöne schreckten womöglich manche Wähler ab. Dennoch scheint sich die FDP in ihrem Kurs bestärkt zu sehen und wird in der Ampelkoalition nicht unbedingt bequemer werden.
Union profitiert nur wenig von schlechter Stimmung
Auch wenn die Union als Wahlsieger aus der Europawahl kommt, profitiert sie nicht so stark wie erwartet von der schlechten Stimmung in Deutschland. Sie setzt zwar nun die Ampel-Regierung unter Druck, weiß aber, dass sie viele Wählerstimmen an die AfD und das neue Bündnis Sahra Wagenknecht verloren hat.
Die Union wird also auch in Zukunft darunter leiden, dass die Parteienlandschaft sich immer weiter aufsplitten und die Volksparteien eine immer kleinere Rolle spielen werden. Gerade bei den anstehenden Landtagswahlen wird das die Union vor große Herausforderungen stellen.
AfD-Skandale - war da was?
Immer neue Schlagzeilen prägten den Wahlkampf: Ein Mitarbeiter des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah sitzt in Untersuchungshaft, weil er für den Geheimdienst Chinas spioniert haben soll. Dem zweiten Kandidaten, Petr Bystron, wird Geldwäsche und Bestechlichkeit vorgeworfen.
Die AfD hat zwei Spitzenkandidaten im Wahlkampf versteckt. Die Frage war: Wird diese Strategie aufgehen? Oder schrecken die Vorwürfe zumindest Wechselwähler ab?
Die klare Antwort ist: Nein, die AfD kann trotz allem stark zulegen. Im Osten ist sie stärkste Kraft. "Also so was löst sich nachher in Luft auf", sagte die Bundessprecherin der Partei, Alice Weidel, mit Blick auf die Skandale im ARD-Interview von der Wahlparty. Es sei eben ein "holpriger Start in den Wahlkampf" gewesen, so spielt sie alles herunter.
BSW - aus dem Stand relevant
In Umfragen war das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) schon lange stark. Die erste bundesweite Wahl, bei der die neue Partei antrat, zeigt: Die Wähler spielen nicht nur mit dem Gedanken, Wagenknecht und ihre Mitstreiter zu unterstützen. Sie kommen dafür tatsächlich auch an die Wahlurnen.
In Ostdeutschland ist das BSW sogar deutlich zweistellig. Das heißt, bei den Landtagswahlen dürfte das Bündnis eine wichtige Rolle spielen - auch wenn die Partei eigentlich noch im Aufbau ist und sich beispielsweise der Landesverband Brandenburg erst vor ein paar Tagen gegründet hat.
Damit drängt Wagenknecht ihre alte Partei, die Linke, immer näher Richtung politische Bedeutungslosigkeit. Mit rund drei Prozent landet die Linke im Bereich von Kleinparteien. Sie muss nun alles tun, um bei den Ost-Landtagswahlen deutlich stärker abzuschneiden. Fällt sie dort aus den Landtagen, könnte dies das Ende der Linken auf der großen politischen Bühne bedeuten.