Ampel-Koalition in der Krise Klingbeil spricht von "Woche der Entscheidungen"
SPD-Chef Klingbeil hat genug vom öffentlichen Disput der Ampel. Im Bericht aus Berlin fordert er von den Parteien mehr Fokus auf Haushalt und Wirtschaft. Auch mit Blick auf den Koalitionsausschuss sprach er von einer "Woche der Entscheidungen".
Reibereien zwischen den Koalitionspartnern, öffentliche Alleingänge der Minister und offensichtlich keine Absprachen untereinander - in dieses aufgeheizte Klima platzierte Finanzminister und FDP-Vorsitzender Christian Lindner ein Grundsatzpapier, das die kriselnde Wirtschaft im Land wieder auf Kurs bringen soll. Unabsichtlich durch eine Indiskretion veröffentlicht, wie er sagt, und sehr dicht an den Werten und Vorstellungen der Union.
Lindners Vorstoß wurde viel diskutiert und auch kritisiert. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat nun betont, er habe genug von öffentlichen Diskussionen und Anschuldigungen. "Diese ständigen öffentlichen Äußerungen, die Angriffe auf Koalitionspartner, die Provokation - die sollte man jetzt langsam mal beiseiteschieben", sagte er im Bericht aus Berlin. Die Frage, wie lange seine Partei diesen Streit noch mitmachen wolle, wies er an die FDP zurück: "Diese Frage müssen Sie an Herrn Linder richten. Wir wollen Verantwortung tragen."
Stabilisierung der Wirtschaft hat oberste Priorität
Die Stabilität der Ampel steht infrage und Neuwahlen offen adressiert im Raum. Klingbeil sieht darin ein Problem und wünscht sich mehr Fokus auf drängenderen Themen als auf den Kämpfen unter den Parteien: "Ich kann sehr klar sagen, das Ziel von uns als SPD ist nicht die Frage, kommt jetzt eine vorgezogene Neuwahlsituation - sondern wie sichern wir viele tausend Industriearbeitsplätze?" Das Kreisen um sich selbst, wie es gerade im politischen Berlin zu beobachten sei, lehne er ab.
"Wie stabilisieren wir jetzt die Wirtschaft? Wie sorgen wir einen neuen Aufschwung für die Menschen in diesem Land?" Dies seien die akuten Fragen, die es jetzt zu klären gelte, sagte Klingbeil.
Klingbeil ist in einigen Fragen gesprächsbereit
Auf die Frage, ob er bereit sei, einige Gesetze nach Lindners Vorschlägen neu zu überdenken und zu verhandeln, gab sich Klingbeil offen, aber bestimmt. Etwa beim Bürokratieabbau sei er auf jeden Fall für zusätzliche Maßnahmen zu haben. "Wenn da am Ende aber das Durchschimmert, was Herr Lindner schon 500 Mal vorgeschlagen hat und was wir schon 500 Mal abgelehnt haben, nämlich dass die reichen Leute in diesem Land noch mehr Geld in der Tasche haben, dann werden wir diesen Weg nicht mitgehen."
Banaszak reagiert genervt
Unvereinbar, zumindest mit den Werten der Grünen, scheint auch Lindners Vorstoß, den Klima- und Transformationsfonds ersatzlos streichen zu wollen. Der grüne Wirtschaftspolitiker Felix Banaszak, der sich für den Grünen-Vorsitz bewirbt, zeigte sich im Bericht aus Berlin sichtlich genervt. "Herr Lindner findet keine Zeit, seine Aufgabe als Finanzminister zu erfüllen." Schließlich sei das Haushaltsloch zuletzt gewachsen. Konkrete umsetzbare Vorschläge sei Lindner Banaszaks Meinung nach aber bisher schuldig geblieben. "Dafür findet er viel Zeit, in alles andere hineinregieren zu wollen."
"Dieses ganze Papier atmet den Geist davon: Ich will eigentlich nicht mehr." Vereinbarte Beschlüsse jetzt wieder abwickeln zu wollen, sei das Gegenteil von Planungssicherheit. Man sollte, wenn man ein gemeinsames Ergebnis wirklich erreichen wolle, nicht allen Anderen erklären, wie blöd deren Ideen seien.
Meilenstein Koalitionsausschuss
Neben der Wirtschaftskrise ist auch das Milliardenloch im Bundeshaushalt eine der beiden zentralen Fragen, um die es unter anderem beim Koalitionsausschuss in der kommenden Woche gehen soll. Die Themen gelten als mögliche Bruchstellen der Koalition. "Das ist jetzt eine Woche der Entscheidungen", sagte Klingbeil.
Es müsse geklärt werden, ob alle Koalitionspartner "noch genug Puste" hätten für den weiteren und anstrengenden Weg. Dies gelte es zuallererst festzumachen, anschießend könne man sich auf die großen Fragen konzentrieren. "Gemeinsam. Weil wir das unserem Land auch schuldig sind."
Lindner will deutsche Wirtschaft stärken
Lindner selbst verteidigte seine Standpunkte in der ZDF-Sendung BerlinDirekt. Er habe nicht etwa der Regierung ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Vielmehr hätten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geändert. Darauf gelte es nun angemessen zu reagieren. "Denn: So wie die Wirtschaft ist, darf sie nicht bleiben", sagte Lindner.
Von allen entwickelten Wirtschaftsnationen habe Deutschland zur Zeit die schlechteste Entwicklung. Zurückzuführen sei dies auf die Bürokratie, die zu hohe Steuerlast und zu hohe Energiepreise. Auch der deutsche Sonderweg in der Klimapolitik sei ein Faktor. "Damit machen wir es uns künstlich schwer und darüber müssen wir sprechen. Die Erwartung der Bürgerinnen und Bürger im Land sei, dass sich etwas verändert.
Viele Gesprächsrunden in den nächsten Tagen
Klingbeil selbst berät zurzeit mit Kanzler Olaf Scholz, der Co-Parteivorsitzenden Saskia Esken und Generalsekretär Matthias Miersch über die Situation der Ampel. Die Gespräche finden im Kanzleramt statt, hieß es aus Regierungskreisen.
Bereits am Sonntagvormittag hatten mehrere Medien übereinstimmend berichtet, dass sich Scholz mit Lindner und Habeck in den kommenden Tagen gleich mehrfach vertraulich absprechen wolle. Am Mittwoch dann tagt der Koalitionsausschuss.