Kommunen vor Bund-Länder-Runde Wieder nicht mit am Tisch
Der Frust der Kommunen bei der Asylpolitik ist unverändert groß. Zwar sinken die Zahlen, viele Probleme bleiben aber ungelöst. Entsprechend ernüchtert schaut man auf das heutige Treffen von Bundeskanzler und Ländern.
Tino Schomann muss an Weihnachten denken. "Diese Woche haben wir keine Zuweisung", sagt der Landrat von Nordwestmecklenburg. Damit kam kein neuer Asylsuchender in den Kreis. Das erlebe er sonst nur an Feiertagen.
Von Entspannung könne aber keine Rede sein. Aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) habe Schomann gehört, man rechne für das ganze Jahr 2024 mit ähnlichen Zahlen wie im Vorjahr. 700 bis 800 Neuankömmlinge wären das. Schomann: "Da kann ich jetzt schon sagen: Das geht nicht." Aktuell sind 45 Plätze frei. Bis April dürften die belegt sein.
Keine Dauerlösung in Upahl
Schomann, 36, CDU, ist seit 2021 Landrat. Der Kreis an der Ostseeküste hat schon länger Probleme, Platz für Asylsuchende zu finden. Im Januar 2023 beschloss der Kreis, im 400-Seelen-Dorf Upahl eine Containerunterkunft für 500 Menschen zu bauen. Der Protest machte Upahl und Schomann bundesweit bekannt.
Die Unterkunft kam, wenn auch kleiner. Seit Oktober sind die 250 Plätze in Betrieb, befristet für ein Jahr - sofern Schomann es schafft, andere Unterkünfte zu finden, oder eben die Zahlen zurückgehen. Nur könne der Kreis gar nicht so schnell neue Kapazitäten bauen. "Das ist weiterhin die ganz große Problematik", sagt Schomann. Wenigstens laufe es ruhig in Upahl.
Schomann: "Sind die Handwerker der Regierungen"
Wenn nun am Mittwoch die Regierungschefs der Länder in Berlin mit Bundeskanzler Olaf Scholz über die Asylpolitik beraten, hat Schomann keine großen Erwartungen. Die Kommunen säßen ja nicht mit am Tisch, sagt er. "Dabei sind wir die Handwerker, die für die Regierungen arbeiten."
Bund und Länder wollen prüfen, wie weit die gemeinsamen Beschlüsse aus dem November sind. Damals hatten sie unter anderem eine solidarische Kostentragung, die Einführung einer bundesweiten Bezahlkarte für Asylbewerber und schnellere Rückführungen abgelehnter Bewerber vereinbart.
Landrat Schomann hat wenig Erwartungen an die Bund-Länder-Runde.
In Nordwestmecklenburg bringen Abschiebungen aber bislang keine Entlastung. Das werde sich auch mit dem Rückführungverbesserungsgesetz nicht ändern, so Landrat Schomann. Er blicke mit Sorge auf die Kommunalwahlen Anfang Juni. Es fänden sich immer weniger Menschen, die bereit wären, zu kandidieren. Viele Kreisräte seien ernüchtert.
Hinzukämen weiterhin zu hohe bürokratische Hürden. Schomann fordert mehr Flexibilität bei Sprachkursen und eine Ausweitung des Spurwechsels, um fähige Menschen in Arbeit zu bringen. Bund und Länder müssten auch Werkzeuge bereitstellen, um die Situation vor Ort managen zu können. Die Bezahlkarte, die in Mecklenburg-Vorpommern das Land einführen wird, unterstützt Schomann, weil sie Verwaltungsaufgaben mindern könne.
Asylzahlen gehen bundesweit zurück
Zwischen 2022 und Herbst 2023 hat die Zahl der Asyl-Erstanträge in Deutschland stark zugenommen - bis sie laut BAMF im November die Marke 35.000 überschritt. Parallel nahm Deutschland rund eine Million Geflüchtete aus der Ukraine auf.
Doch seit Dezember gehen die Asylzahlen zurück. Ob es an der Jahreszeit liegt oder an den eingeführten stationären Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien, darüber könne man nur mutmaßen, sagt Kristin Kaufmann (Die Linke). Die 47-jährige Sozialbürgermeisterin von Dresden hat ein turbulentes Jahr hinter sich.
"Anfang 2023 hatten wir große Schwierigkeiten, unsere gesetzliche Unterbringungspflicht als Kommune zu erfüllen", sagt Kaufmann. Jetzt sei die Lage "ruhig und stabil".
Kaufmann: "Aktuell in einer Atempause"
Das liegt auch an sechs Wohncontainer-Standorten, die die Stadt im Januar im Betrieb nahm. Bis zu 505 Menschen bieten sie Platz. Laufzeit: zwei Jahre. Die Beratung und Planung wurden von Protesten begleitet.
Kaufmann spricht von "rechtsextremen Spaziergängern", die "ordentlich aufgemöbelt" hätten. Seitdem die Standorte aber am Netz seien, verlaufe das Leben dort "sehr still, ohne jegliche Probleme". Die Verwaltung habe wieder Zeit, sich stärker um fachliche Bedarfe in der Betreuung zu kümmern.
Dresdens Unterkünfte sind derzeit zu rund 80 Prozent ausgelastet. "Aktuell befinden wir uns in einer Art Atempause", sagt Kaufmann. Kämen wie 2023 rund 2.200 Menschen, wäre ausreichend Platz da. Im Laufe des Monats werde man sogar die Hotels entmieten, die die Stadt ab 2022 für Millionenbeträge angemietet hatte.
Baustelle Finanzierung bleibt
Dennoch bleibt das Geld ein Problem. Vorerst bekommt die Stadt eine Asyl-Pauschale von 10.548 Euro pro Person vom Freistaat Sachsen. Der Wert ist vorläufig und stammt aus 2022. Die realen Kosten beliefen sich laut Kaufmann aber auf 15.326 Euro. Rund 30 Prozent waren also nicht gedeckt. Noch 2019 hatte dieser Wert bei etwas mehr als fünf Prozent gelegen.
Die "solidarische Kostentragung", die Bund und Länder im November beschlossen haben, ist noch auf dem Weg. Ein für die Kommunen günstiger längerer Bezug von Grundleistungen für Asylbewerber ist erst im Februar in Kraft getreten. Die zugesagte Pauschale von 7.500 Euro pro Erstantrag gibt es hingegen noch nicht.
Kaufmann geht das nicht weit genug. "Ein Mensch, der flüchtet, darf nicht auf eine Unterkunft reduziert werden." Die Kommunen erwarteten auch eine faire Finanzierung für Begleitmaßnahmen wie eine Integrationsassistenz und Migrationssozialarbeit.
Ulrich: Abstimmungen erreichen Kommunen erst "spät - oder nie"
Dass sich Bund und Länder am Mittwoch bewegen, darauf hofft Götz Ulrich kaum noch. Der Präsident des Landkreistags Sachsen-Anhalt zieht ein ernüchtertes Fazit der letzten Gipfel: "Aus dem, was ich nach MPKs oder vom Bund höre, ergibt sich oft sehr wenig Konkretes für uns vor Ort", sagt Ulrich. Die Abstimmungen zwischen Bund und Ländern erreichten die Kommunen oft erst "Monate, teils Jahre später - oder auch nie".
Ulrichs eigener Landkreis, der Burgenlandkreis, gilt derweil als vorbildlich bei der Integration von Geflüchteten und Asylsuchenden. Eine eigene Migrationsagentur bündelt diverse Leistungen. Deren "Kundenstamm" wuchs zuletzt langsamer: Nach 658 Neuaufnahmen im Jahr 2023 erhielt der Kreis im Februar nur noch elf. Aktuell müsse er keine neue Unterkunft öffnen, sagt Ulrich.
Und dennoch sehe sich die Verwaltung auch hier mit vielen, aus Ulrichs Sicht unnötigen Problemen konfrontiert. Dass die Behörden vor Ort für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis weiterhin die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit brauchen, sei aus der Zeit gefallen. Auch seien die Anforderungen an Kursleiter für Sprachkurse des BAMF zu hoch. In Sachsen-Anhalt finde man dafür keine Leute.
Unterstützung bei Arbeitsgelegenheiten
Für bundesweite Diskussionen sorgte zuletzt ein Vorstoß des Landrats des Saale-Orla-Kreises in Thüringen, Christian Herrgott. Er will Asylbewerber zu Arbeit bei öffentlichen Trägern und gemeinnützigen Vereinen verpflichten und so an den Arbeitsmarkt heranführen. Stundenlohn: 80 Cent.
Rechtlich ist das möglich. Tatsächlich bieten viele Kreise solche sogenannten Arbeitsgelegenheiten aber bereits an. Im Burgenlandkreis unterstützen Asylbewerber etwa Hausmeister in Schulen oder helfen beim Grünschnitt.
Götz Ulrich würde gerne zu einem Anreizsystem kommen: Arbeitende könnten eine bevorzugte Behandlung bei Sprach- und Integrationskursen erhalten oder die Aufwandsentschädigung von 80 Cent auf das Bargeld-Limit ihrer Bezahlkarte aufgeschlagen bekommen. Letzteres wird voraussichtlich bei 50 Euro liegen.
Vor allem aber sollten die Länder die Kommunen unterstützen. Denn die Organisation dieser Arbeitsgelegenheiten so finanziell und organisatorisch aufwendig, so Ulrich.