Zwei deutsche Reisepässe liegen auf einem Tisch.
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Migrationspolitik Künftig Deutsche "zweiter Klasse"?

Stand: 27.03.2025 09:21 Uhr

In den aktuellen Koalitionsverhandlungen geht es auch um die Frage, ob Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit ausgebürgert werden können. Doppelstaatler sind schockiert - Verfassungsrechtler warnen.

Von Lisa Seemann, Herbert Kordes und Lutz Polanz, WDR

Es ist ein Satz mit Sprengkraft - zunächst aufgeschrieben im Sondierungspapier von Union und SPD: "Wir werden verfassungsrechtlich prüfen, ob wir Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen, die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen können, wenn sie eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen."

Und auch aus den vertraulichen Ergebnissen der Verhandlungsgruppe "Innen, Recht, Migration und Integration", die dem ARD-Magazin Monitor vorliegen, geht hervor, dass die Union an der Möglichkeit des Entzugs der deutschen Staatsbürgerschaft festhalten möchte. Trotz Widerstands aus der SPD bleibt die Union also hart. Das Vorhaben gehört zu den Wahlkampf-Versprechen von Friedrich Merz und Markus Söder.

Deutsche zweiter Klasse?

Bei Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft hat das Vorhaben schon jetzt viel Verunsicherung geschaffen. Bilal Shabib etwa ist 46 Jahre alt, Vater von vier Kindern, Softwareentwickler. Er ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Als Sohn syrischer Eltern hat er offiziell beide Staatsangehörigkeiten, obwohl er noch nie in Syrien war. Dass in den Koalitionsverhandlungen jetzt diskutiert wird, ob man Menschen wie ihm die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen kann, bereitet ihm große Sorge. Obwohl er nie straffällig war, fühle er sich herabgesetzt als Deutscher zweiter Klasse. "Ich bin Deutscher, aber jetzt fühlt es sich so an, als ob das nicht mehr so sicher ist, wie ich gedacht habe," sagt Shabib.

Die Debatte zeige, wie weit sich der Diskurs in Deutschland verschoben habe, meint die Soziologin und Kriminologin Gina Wollinger von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Köln gegenüber Monitor. Man vermittle den Eindruck, "dass die deutsche Staatsangehörigkeit von Doppelstaatlern nicht so viel wert ist, dass es eben manche gibt, die weniger deutsch sind als andere."

Mit der vermeintlichen Verknüpfung zwischen innerer Sicherheit und dem Staatsbürgerschaftsrecht sendeten die Sondierungsparteien eine fatale Botschaft an Menschen mit zwei Staatsangehörigkeiten.

Grundgesetz verbietet Staatsbürgerschaftsentzug

Auch verfassungsrechtlich gibt es Einwände, denn Artikel 16 des Grundgesetzes verbietet den Entzug der Staatsbürgerschaft. So wollten die Väter und Mütter des Grundgesetzes dafür sorgen, dass das Staatsbürgerschaftsrecht nie wieder als politisches Mittel missbraucht wird und Menschen nicht aufgrund ihrer Herkunft, politischen Einstellung oder Religion ihrer Bürgerrechte beraubt werden können. Die Nationalsozialisten hatten Juden, aber auch Regimekritiker systematisch ausgebürgert.

Allerdings können schon jetzt Menschen ihre deutsche Staatsangehörigkeit verlieren, wenn sie dadurch nicht staatenlos werden. Und zwar dann, wenn sie freiwillig für eine terroristische Vereinigung oder für die Streitkräfte eines anderen Staates kämpfen. Gleichzeitig kann bisher eine Einbürgerung innerhalb von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn die Person bei der Einbürgerung "arglistig" getäuscht hat.

Die Büchse der Pandora

Die jetzigen Pläne aus den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD gehen aber weit darüber hinaus und würden eine Abkehr von der Idee des Grundgesetzes bedeuten, kritisiert Thomas Groß, Rechtswissenschaftler und Professor an der Universität Osnabrück im Interview mit Monitor.

Wenn man die Staatsangehörigkeit nutzen wolle, um Extremismus und Terrorismus zu bekämpfen, würde das die "Büchse der Pandora öffnen". Denn diese Möglichkeit könne "nach einer nächsten Wahl von rechtsextremen Kräften zu ganz anderen Zwecken genutzt und weiter ausgeweitet werden." Es werde in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, dass es ganz unproblematisch sei, bestimmten unliebsamen Gruppen die Staatsangehörigkeit zu entziehen, so Groß.

Weder im Sondierungspapier noch im Ergebnispapier der Verhandlungsgruppe zur Migration sind die Begriffe "Extremismus", "Antisemitismus" oder "Terrorunterstützungen" klar definiert. Für den Rechtswissenschaftler ist das ein ernstzunehmendes Problem: "Es sind keine klar definierten Tatbestände und die Abgrenzung zur freien Meinungsäußerung ist ganz schwierig."

Viele Menschen können zweite Staatsbürgerschaft nicht ablegen

In Deutschland leben bis zu 5,8 Millionen Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit. Genaue Zahlen gibt es nicht. Viele Menschen in Deutschland haben zusätzlich eine polnische, italienische oder türkische Staatsbürgerschaft. In den letzten Jahren wurden vermehrt auch Menschen aus Syrien oder Afghanistan eingebürgert. Sie gehören zu einer Gruppe, die ihre zweite Staatsangehörigkeit gar nicht ablegen kann. Wie auch Menschen zum Beispiel aus dem Iran, Tunesien, Costa Rica oder den Malediven, wie das Auswärtige Amt auf seiner Homepage schreibt.

Auch Bilal Shabib kann seine syrische Staatsangehörigkeit nicht ablegen. Die Debatte und die aufgeheizte Stimmung gegen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland haben ihn tief enttäuscht. So wie viele in seinem Umfeld mache er sich Gedanken, ob es außerhalb von Deutschland nicht besser für ihn und seine Familie sei: "Ich bin Softwareentwickler, arbeite im Bereich Künstliche Intelligenz und virtuelle Realität. Ich kann von überall aus arbeiten. Dazu muss ich nicht in Deutschland leben."

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete "Monitor" im Ersten am 27. März 2025 um 21:45 Uhr.