EU und die Ukraine Kein Beitritt auf der Überholspur
Der EU-Beitritt der Ukraine ist mehr als eine Formsache. Denn auch wenn das Land auf dem Schlachtfeld ums Überleben kämpft, darf Brüssel die Eintrittsregeln nicht aufweichen, meint Helga Schmidt.
Die Ukraine hat verdient, dass sie Mitglied der Europäischen Union wird. Das hat Präsident Wolodymyr Selenskyj gesagt, klar und deutlich - und seinen Regierungschef Denys Schmyhal hat er noch einen Schritt weiter gepusht: In gut zwei Jahren schon, 2025, sei sein Land reif für den Beitritt, versichert der Regierungschef, denn dann sei man fertig mit allen Vorbereitungen.
Menschlich kann man das verstehen. Die beiden Männer sehen sich nicht nur Tag und Nacht den Angriffen Russlands ausgesetzt, sie sehen natürlich auch ihre Bevölkerung. Und die sehnt sich nach guten Nachrichten im furchtbar schweren Kriegsalltag. Die EU ist zu einem Sehnsuchtsort geworden, Europa ist das Licht am Ende eines viel zu langen Tunnels.
Erwartungen können nur enttäuscht werden
So hoch sind die Erwartungen inzwischen gehängt, dass sie eigentlich nur noch enttäuscht werden können. Keine Rede von Selenskyj kommt ohne Forderung nach schneller Aufnahme in die EU auf - fast täglich hören seine Landsleute das. Auch gerade wieder, als die EU-Spitzen aus Brüssel zum Gipfel in Kiew waren.
Das bleibt hängen und weckt den Eindruck, als sei die Aufnahme in den Club nur reine Formsache. Wenn aber Brüssel mit Paragraphen kommt und auf die üblichen Regeln pocht, dann wird das absehbar zu einigen Problemen führen.
Die Säulen der EU
Es ist nämlich nicht so, dass es einen Anspruch auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union gibt. Auch nicht für ein Land, dass Opfer eines Angriffskrieges geworden ist. Das mag jetzt vielleicht herzlos klingen, aber hier geht es um die Säulen auf denen die EU steht - das gemeinsame Verständnis von Recht. Und das sieht für jedes neue Land ein aufwändiges Verfahren vor.
Der Zeitdruck, den Selenskyj macht, passt nicht dazu. Er weckt nämlich den Verdacht, dass es für die Ukraine aus seiner Sicht einen Extra-Beitritt geben könnte: dass sein Land auf der Überholspur in die Union kommt.
Lange Treppe zum Eintritt
Dabei ist die Ukraine gerade mal Beitrittskandidat, damit steht sie auf der allerersten Stufe der langen Treppe zum Eintritt. Ob es dann weitergeht mit Stufe zwei - was bedeuten würde, dass die richtigen Beitrittsverhandlungen beginnen können, das entscheiden allein die 27 Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer.
Nicht einfach so, sondern indem sie sich genau die Schwachpunkte der Ukraine angucken. Das sind: mächtige Oligarchen, die sich die Taschen voll machen, Korruption bis in hohe Regierungskreise und Zweifel an der Unabhängigkeit von Gerichten, die das eigentlich verfolgen müssen.
Prozess bis Kriegsende ruhen lassen
Ist das fair gegenüber einer Nation, die gerade auf dem Schlachtfeld ums Überleben kämpft? Nein! Das darf aber nicht dazu führen, dass man ein Auge zudrückt und die Eintrittsregeln aufweicht.
Besser wäre es, wenn der Beitrittsprozess so lange ruht bis der Krieg zu Ende ist und die Ukraine in der Zwischenzeit ein Maximum an finanzieller Hilfe bekommt, damit sie die Chance hat, sich wirklich fit zu machen für die Beitrittsverhandlungen.