Demonstranten mit Plakaten an Grenze zum Gazastreifen
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Krieg in Nahost ++ Geiselangehörige überwinden Gaza-Grenze ++

Stand: 29.08.2024 13:43 Uhr

Nach Medienberichten haben Angehörige israelischer Geiseln bei einem Protest den Grenzzaun zum Gazastreifen durchbrochen. Die Armee hat nach eigenen Angaben "fünf Terroristen" im Westjordanland getötet. Die Entwicklungen im Liveblog.

Der irische Außenminister Micheál Martin hat Israel vorgeworfen, bei der Militäroffensive im Gazastreifen gezielt die palästinensische Zivilbevölkerung und nicht allein die Terrorgruppe Hamas ins Visier zu nehmen. "Das ist ein Krieg gegen die Palästinenser, nicht nur gegen die Hamas", sagte Martin beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel.

"Es ist ein Krieg gegen die Bevölkerung", sagte Martin. Es habe keinen Zweck, zu versuchen, darum herumzureden. Martin mahnte, die EU solle ihre Beziehungen zur Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu auf den Prüfstand stellen. Ein jüngstes Urteil des Internationalen Gerichtshofs, wonach die israelische Besetzung des Gazastreifens und Westjordanlands illegal sei, zwinge die EU zum Handeln. Es könne nicht so weitergehen wie bisher.

In der Europäischen Union zeichnet sich kein Konsens über Sanktionen gegen israelische Regierungsmitglieder ab. Ungarn und Italien wiesen beim informellen Außenministertreffen in Brüssel den Vorschlag des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell zurück, zwei israelische Minister wegen "inakzeptabler Hassbotschaften gegen Palästinenser" zu maßregeln.

Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto sprach in einer Videobotschaft von einem "gefährlichen Vorschlag" Borrells. Er belaste die Beziehungen zu Israel und "würde die Sicherheit und die langfristige Stabilität des Nahen Ostens eindeutig gefährden".

Italiens Außenminister Antonio Tajani sagte, Sanktionen gegen israelische Minister lösten den Konflikt ebenso wenig wie eine theoretische Anerkennung Palästinas. "Ich glaube nicht, dass dies der richtige Weg ist, um Israel davon zu überzeugen, ein Abkommen mit den anderen Parteien in Kairo zu schließen", sagte er mit Blick auf die laufenden Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gazastreifen.

Zuvor hatte sich bereits Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zurückhaltend geäußert und und auf die nötige Einstimmigkeit für einen Sanktionsbeschluss verwiesen.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu war nach Darstellung des Oppositionsführers vor dem Massaker am 7. Oktober vergangenen Jahres über die Gefährlichkeit der Hamas informiert. "Die Regierung war über die Absichten der Hamas im Bilde", sagte Jair Lapid vor Journalisten. "Es war klar, was sie wollen."

Der in der politischen Mitte angesiedelte Vorsitzende der Zukunftspartei sagte, er weise wiederholte Behauptungen der Regierung zurück, "dass die politische Spitze sich irgendwie dessen nicht bewusst war, dass die Hamas nicht mehr wie früher abgeschreckt ist". Er habe selbst in seiner Zeit als Regierungschef entsprechendes Geheimdienstmaterial gesehen, und dieses hätten "natürlich" auch sein Nachfolger Netanyahu und dessen Minister gesehen, sagte Lapid. 

So habe bei einem Sicherheitstreffen am 21. August 2023 ein Militärberater über Warnungen an allen Fronten der iranischen "Achse des Widerstands" berichtet - darunter auch vor den Terrororganisationen im Gazastreifen und im Westjordanland. Sein persönlicher Eindruck sei gewesen, dass Netanyahu dabei "gelangweilt und gleichgültig" gewirkt habe, sagte Lapid, der demnach damals ebenfalls zugegen war. Auch in den folgenden Monaten habe es immer wieder Warnungen gegeben, denen zufolge Israel sich in erhöhter Gefahr befinde.

Netanyahus rechtskonservative Likud-Partei teilte daraufhin mit: "Jair Lapid lügt wieder." Netanyahu habe keinerlei Warnung vor dem 7. Oktober erhalten. 

In einem Offenen Brief haben sich 40 Professoren, Dozenten und Forscher der Universität Göttingen gegen eine Kriminalisierung von propalästinensischen Demonstrationen auf dem Campus der Hochschule sowie deren Gleichsetzung mit Antisemitismus gewandt.

Die Unterzeichner stünden "geschlossen hinter dem Recht unserer Studierenden, friedlich zu demonstrieren und ihre Meinung zu den aktuellen Konflikten in Israel und Palästina zu äußern", heißt es in dem Schreiben.

Die Verfasser des offenen Briefes kritisieren mit ihrer Stellungnahme unter anderem die Reaktion der Universitätsleitung auf ein Ende Juni am Campus errichtetes Solidaritätscamp mit Palästina. Die Hochschule hatte erklärt, sie "missbillige" das Camp. Vier Professoren forderten unter Hinweis auf vermeintlichen Antisemitismus und Gewaltbereitschaft der Bewohner und ein von ihnen verbreitetes "Klima der Einschüchterung" eine Räumung des Zeltlagers.

Beim jüngsten Militäreinsatz der israelischen Armee im Westjordanland ist nach Angaben der militanten Palästinensergruppe Islamischer Dschihad ein örtlicher Befehlshaber der Organisation getötet worden. Mohammed Dschaber, bekannt als Abu Schudschaa, Kommandeur der Al-Kuds-Brigaden im Flüchtlingslager Nur Schams in Tulkarem, sei "zusammen mit mehreren Brüdern seiner Brigade" nach Kämpfen gegen israelische Soldaten "gestorben", erklärte die Gruppe.

Die Al-Kuds-Brigaden sind der bewaffnete Arm des mit der militant-islamistischen Hamas verbündeten Islamischen Dschihads. Die islamistische Organisation erklärte weiter, dass Schudschaa in der Vergangenheit "Mordversuchen und Festnahmen" durch die israelische Armee entgangen sei.

Die israelische Armee beschuldigt Schudschaa unter anderem, "in mehrere Terroranschläge verwickelt" gewesen zu sein und "im Juni einen Schusswaffenangriff angeordnet zu haben, bei dem ein israelischer Zivilist getötet wurde". 

Als Reaktion auf Israels großangelegten Militäreinsatz im Westjordanland und die andauernden Angriffe im Gazastreifen hat die islamistische Terrorgruppe Hamas arabischen Medien zufolge zu einer Wiederaufnahme von Selbstmordanschlägen aufgerufen. Hamas-Führer Chaled Maschaal hat dem arabischen Sender Sky News Arabia zufolge bei einer Konferenz in der türkischen Millionenstadt Istanbul eine "Rückkehr der Selbstmordoperationen" gefordert.

Die aktuelle Situation verlange einen "offenen Konflikt", so Maschaal. Er rief die Anhänger der Hamas dazu auf, "sich an mehreren Fronten am tatsächlichen Widerstand gegen das zionistische Gebilde (Israel) zu beteiligen."

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat sich zurückhaltend zur Forderung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell geäußert, zwei israelische Minister zu sanktionieren. Baerbock betonte, es müsse "in jedem Einzelfall geprüft werden, was sind die Vorwürfe. Reichen diese Vorwürfe, um zu listen, um zu sanktionieren?".

Die Ministerin verwies zudem auf die nötige Einstimmigkeit einer solchen Entscheidung. Vor allem Ungarn, Tschechien und Österreich hatten israelkritische EU-Positionen zuletzt verhindert. Baerbock betonte, auch Deutschland kritisiere immer wieder scharf, wenn israelische Minister "internationales Recht verletzt haben, wenn sie die Oslo-Verträge verletzt haben oder gar wenn es Äußerungen auch von Ministern gab, die zu Gewalttaten aufgerufen haben".

In der Debatte geht es um Israels Finanzminister Bezalel Smotrich sowie um Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir. Borrell betonte, jüngste Äußerungen der beiden verstießen gegen internationales Recht und seien ein Aufruf zu Kriegsverbrechen.

Israels Armee untersucht nach eigenen Angaben Vorwürfe, Soldaten hätten ein UN-Fahrzeug im Gazastreifen beschossen. Einem UN-Bericht zufolge war das Fahrzeug auf einem sogenannten humanitären Korridor unterwegs, als es von Schüssen getroffen wurde. "Der Vorfall wird untersucht", teilte das Militär mit. 

Die Vereinten Nationen hatten nach dem Vorfall Aufklärung von Israel gefordert. Das deutlich gekennzeichnete Fahrzeug des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen sei Teil eines Konvois gewesen, dessen Fahrt vollständig mit der israelischen Armee koordiniert worden sei. Es sei zehnmal von israelischen Schützen beschossen worden, sagte Sprecher Stéphane Dujarric in New York.

Tina Hassel berichtet vom EU-Außenministertreffen in Brüssel, auf dem unter anderem die jüngsten Forderungen des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell zur Sanktionierung zweier israelischer Minister diskutiert werden. Borell hatte gefordert, dass diese wegen "inakzeptablen Hassbotschaften gegen die Palästinenser" und Vorschlägen, "die eindeutig gegen internationales Recht verstoßen" mit EU-Sanktionen zu belegen seien.

Tina Hassel, ARD Brüssel, mit Hintergründen zu erstem EU-Außenminister-Treffen nach Sommerpause

tagesschau24, 29.08.2024 10:00 Uhr

Angehörige israelischer Geiseln der militant-islamistischen Hamas haben nach Medienberichten bei einem Protest den Grenzzaun zum Gazastreifen durchbrochen. Dutzende Menschen hätten sich zunächst an der Grenze versammelt, um mit Lautsprechern ihren entführten Liebsten auf der anderen Seite zuzurufen, in der Hoffnung, dass sie gehört werden, berichtete der israelische TV-Sender Channel 13.

Einige hätten dann die Grenze überquert und seien in Richtung Gazastreifen gerannt. Anschließend seien sie jedoch auf Aufforderung der Sicherheitskräfte wieder umgekehrt. Die Demonstranten trugen Schilder mit Bildern von Geiseln bei sich.

Auch 328 Tage nach ihrer Entführung befinden sich mehr als 100 Geiseln in der Gewalt der Terrororganisation. Wie viele von ihnen noch leben, ist unklar. Zuletzt hatte die Armee eine Geisel befreit und die Leiche eines entführten Soldaten geborgen.

 

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) hat seine Hilfslieferungen für die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen nach einem israelischen Beschuss ausgesetzt. Das meldet der Evangelische Pressedienst. Ein deutlich gekennzeichnetes Fahrzeug des WFP sei zehnmal von Israels Armee getroffen worden, darunter auch durch Kugeln auf die vorderen Fensterscheiben, erklärte UN-Sprecher Stéphane Dujarric.

Das Fahrzeug sei Teil eines Konvois gewesen, der mit den israelischen Streitkräften vollständig abgesprochen worden war. Die WFP-Exekutivdirektorin Cindy McCain verurteilte den Beschuss als absolut inakzeptabel. Glücklicherweise sei niemand verletzt worden. Schon zuvor habe es Sicherheitszwischenfälle gegeben. Alle Parteien des Nahostkonflikts müssten die Sicherheit der humanitären Helfer gewährleisten.

Die jemenitischen Huthi-Rebellen haben Hilfseinsätzen für den von ihnen in Brand geschossenen griechischen Tanker "Sounion" zugestimmt. Mehrere Staaten hätten die Huthi um eine zeitweilige Waffenruhe gebeten, um Rettungsboote und Schlepper in das Meeresgebiet zu schicken, teilte die iranische UN-Vertretung in New York mit.

Die Huthi hätten aus humanitären und Umweltschutzgründen zugestimmt. Huthi-Sprecher Mohammed Abdul-Salam sagte, ohne ins Detail zu gehen: "Nachdem mehrere internationale Parteien, insbesondere europäische, mit uns Kontakt aufgenommen haben, wurde ihnen gestattet, das brennende Ölschiff 'Sounion' abzuschleppen."

Zuvor hatten es die Huthi nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums einer nicht genannten "dritten Partei" noch verwehrt, Schlepper zur "Sounion" zu schicken. Das mit 150.000 Tonnen Rohöl beladene Schiff war vergangene Woche auf dem Weg vom Irak nach Zypern im Roten Meer attackiert worden und in Brand geraten. Ein französischer Zerstörer nahm 29 Menschen an Bord und brachte sie nach Dschibuti.

Am zweiten Tag eines großangelegten Militäreinsatzes im Westjordanland hat die israelische Armee eigenen Angaben zufolge fünf Palästinenser getötet. "Nach einem Feuergefecht schalteten die Einsatzkräfte fünf Terroristen aus, die sich in einer Moschee versteckt hatten", erklärte das Militär.

Demnach fand der Einsatz am Morgen in der Stadt Tulkarem statt. Gestern hatte das Militär eigenen Angaben zufolge bei dem Einsatz zur "Terrorismusbekämpfung" neun Kämpfer bei gleichzeitig stattfindenden Razzien in Tulkarem, Dschenin, Tubas und den dortigen Flüchtlingslagern getötet, wo die militanten Gruppen gegen Israel besonders aktiv sind.

Karte mit Israel, Westjordanland und Dschenin und Tulkarem

Israels Armee hat nach eigenen Angaben in Tulkarem "fünf Terroristen" getötet.

Auslöser für die großangelegte Operation in dem seit 1967 von Israel besetzten Westjordanland war nach Angaben der israelischen Armee ein "deutlicher Anstieg terroristischer Aktivitäten im vergangenen Jahr". Dazu gehörten "mehr als 150 Schießereien und Sprengstoffanschläge", die allein von den nun anvisierten Gebieten ausgegangen seien. 

UN-Generalsekretär António Guterres hat ein Ende des israelischen Militäreinsatzes im Westjordanland verlangt. Guterres fordere eine "sofortige Einstellung dieser Operationen", erklärte sein Büro in New York. Zuvor hatte Guterres' Sprecher Stéphane Dujarric mitgeteilt, der israelische Einsatz habe in unmittelbarer Nähe von vier Krankenhäusern stattgefunden. Zumindest einige von ihnen seien umschlossen worden, was die Bewegungsmöglichkeiten der medizinischen Kräfte beeinträchtigt habe.

Israel hatte in der Nacht zu Mittwoch einen großen Militäreinsatz im besetzten Westjordanland gestartet. Er richtet sich nach Armeeangaben gegen iranisch-islamistische Terror-Infrastruktur. Mehrere militante Palästinenser seien getötet worden. Im Westjordanland hat sich die Lage seit dem Beginn des Krieges zwischen Israel und der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas im Gazastreifen deutlich verschärft.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat den Regierungen der 27 EU-Staaten einen Vorschlag für Sanktionen gegen israelische Regierungsmitglieder unterbreitet. Bestraft werden sollen demnach Finanzminister Bezalel Smotrich und Polizeiminister Itamar Ben-Gvir, wie mehrere EU-Beamte der Nachrichtenagentur dpa kurz vor einem EU-Außenministertreffen bestätigten. Sowohl Smotrich als auch Ben-Gvir sorgten zuletzt mit Äußerungen gegen Palästinenser für Empörung und sind rechtsextreme Koalitionspartner von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Zudem sind beide Verfechter der aus Sicht des höchsten UN-Gerichts illegalen Siedlungspolitik in besetzten Gebieten.

Dem Vorstoß von Borrell zufolge könnten die Sanktionen gegen Smotrich und Ben-Gvir wegen Aufstachelung zu Hass und Menschenrechtsverletzungen verhängt werden. Demnach müssten von ihnen in der EU vorhandene Vermögenswerte eingefroren werden und sie dürften nicht mehr in die EU einreisen.

Helga Schmidt, ARD Brüssel, tagesschau, 29.08.2024 07:19 Uhr

Die israelischen Behörden haben die Leiche eines Soldaten geborgen, der von der Hamas bei ihrem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober verschleppt und getötet wurde. Die Überreste des Mannes hatten sich seither im Gazastreifen befunden. Das israelische Militär und der Inlandsgeheimdienst Schin Beit bargen den Leichnam bei einer gemeinsamen Operation und brachten ihn nach Israel zurück, wie es in einer Mitteilung hieß.

Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bedauerte den Tod des Soldaten. Er sei "in einem heldenhaften Kampf" am 7. Oktober gefallen, während er israelische Gemeinden nahe der Grenze verteidigt habe. Auf Bitten der Familie des Getöteten wurde dessen Identität nicht öffentlich gemacht.