Kamala Harris und Joe Biden.
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Wirtschaft im US-Wahlkampf Das Ende von "Bidenomics"?

Stand: 23.07.2024 05:01 Uhr

Obwohl die Wirtschaft rund läuft, sind die Wählerinnen und Wähler in den USA mit der Wirtschaftspolitik Bidens unzufrieden. Woran liegt das? Und was könnte der Rückzug des Präsidenten daran ändern?

Von Till Bücker, ARD-Finanzredaktion

"Bidenomics" - lange Zeit hat die Demokratische Partei unter diesem Stichwort die Wirtschafts- und Industriepolitik der US-Regierung gefeiert, die dem Land den wirtschaftlichen Aufschwung beschert habe. Spätestens seit dem Rückzug von Joe Biden aus dem US-Präsidentschaftswahlkampf dürfte damit Schluss sein. Unter Wählerinnen und Wählern sah das Bild ohnehin anders aus. Was ändert das im Wahlkampf?

Biden hat seinen Anteil an der robusten US-Wirtschaft

Nach den Einbrüchen infolge der Corona-Pandemie im Jahr 2020 und des Angriff Russlands auf die Ukraine zwei Jahre später entwickelte sich die US-Wirtschaft unter Biden trotz massiver Leitzinserhöhungen stabil. Während das BIP-Wachstum in Deutschland 2023 ein Minus von 0,3 Prozent verzeichnete, stand in den Vereinigten Staaten unter dem Strich eine Steigerung von 2,5 Prozent. Allein im Schlussquartal betrug das Plus 4,4 Prozent. Auch in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres legte die größte Volkswirtschaft der Welt um 1,6 Prozent zu.

Der Arbeitsmarkt in den USA läuft ebenfalls robust. So kletterte die Arbeitslosenquote zuletzt zwar leicht nach oben auf 4,1 Prozent, liegt aber weiterhin auf einem sehr geringen Niveau. Zudem wurden in Bidens Amtszeit zahlreiche neue Jobs geschaffen und die Stundenlöhne zogen nach und nach an. Darüber hinaus ließ auch der Preisdruck nach. Im Juni legten die US-Verbraucherpreise nur noch um 3,0 Prozent zum Vorjahresmonat zu. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren lag die Inflationsrate noch bei 9,1 Prozent.

"Das ist auch einer Menge von politisch richtungsweisenden Entscheidungen in Bidens Präsidentschaft zu verdanken", sagt Laura von Daniels, Leiterin der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Der erste Beitrag sei die Ankündigung gewesen, über Parteigrenzen hinweg wichtige Weichenstellungen erreichen zu wollen - und das mit dem Infrastrukturgesetz auch geschafft zu haben. Außerdem komme der Inflation Reduction Act (IRA), das milliardenschwere Subventionsprogramm für klimafreundliche Technologien, sowohl Unternehmen, Beschäftigten als auch Konsumenten entgegen.

Gefühlte Inflation höher als unter Trump

"Tatsächlich hat sich die US-Wirtschaft während Joe Bidens Präsidentschaft in vielen Bereichen sehr positiv entwickelt", sagt Tom Bauermann, Referatsleiter für Makroökonomie der sozial-ökologischen Transformation am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Das Weiße Haus tue sich aber schwer, diese Erfolge in der Breite zu vermitteln. Das zeigt auch eine Umfrage der Financial Times im Mai: Demnach sind 58 Prozent der Wählerinnen und Wähler mit der Wirtschaftspolitik des Präsidenten unzufrieden.

"Es gibt eine Diskrepanz zwischen der feststellbaren makroökonomischen positiven Situation und den Umfragen in den USA, in denen die Menschen negativ auf die Wirtschaft blicken und sich Sorgen über die Zukunft machen", stellt von Daniels fest. Das habe auch mit Einkommensunterschieden und individuellen Wachstumschancen der Haushalte zu tun. "Gerade bei Dienstleistungen, Energie und Benzin gab es seit 2019 drastische Preissprünge", so die Expertin. Das habe Einfluss auf die Wahrnehmung einzelner Amerikaner, weil unterere Einkommensgruppen proportional stärker darunter leiden.

Paradox dabei: Zum jüngsten Wachstum des BIP hat in den USA vor allem der private Konsum beigetragen. "Einzelne US-Bürgerinnen und Bürger haben allerdings das Gefühl, die wirtschaftliche Entwicklung wäre so negativ, dass es besser für sie ist, im Alltag Konsum und Anschaffungen zurückzuhalten", so von Daniels. Dadurch entstehe ein Gefälle zwischen Menschen mit niedrigeren Einkommen und Menschen, die durch den Aufschwung profitieren.

"It's the economy, stupid!"

"Es ist ratsam, sich nicht ausschließlich auf die offiziellen Daten und Aussagen der Regierung unter Präsident Biden zu verlassen", so Josef Braml, European Director der Denkfabrik Trilateral Kommission im Gespräch mit tagesschau.de. Diese Zahlen seien häufig nicht repräsentativ für die gesamte Realität der Bevölkerung. "Die scheinbar positiven Durchschnittswerte verbergen oft extreme Gegensätze in Bereichen wie Einkommensverteilung, Vermögensungleichheit und Bildungschancen."

Dazu komme, dass "Bidens interventionistische und protektionistische Wirtschaftspolitik" die Inflation verstärkt habe, so Braml. Diese Bewertung werde auch von Ökonomen wie Larry Summers geteilt, die traditionell den Demokraten nahestehen. "Der weitere Anstieg der Inflation mag zwar gebremst worden sein, aber die bisherigen Preiserhöhungen bleiben, sodass viele Amerikaner einen enormen Verlust ihrer Kaufkraft erleben."

Einige greifen dem USA-Experten zufolge auf ihre Ersparnisse zurück, andere verschulden sich zunehmend. "Die steigenden Zinsen, die als Reaktion auf die Inflationserwartungen notwendig wurden, schwächen zusätzlich die Kaufkraft und die Konsumneigung", meint Braml. Die persönliche wirtschaftliche Situation sei jedoch oft ausschlaggebend für das Wahlverhalten vieler US-Bürger. "'It's the economy, stupid!' (dt. 'Es ist die Wirtschaft, Dummkopf!') war bereits ein prägnanter Slogan im Wahlkampf von Bill Clinton."

Wahlchancen immer mehr von Wahrnehmung abhängig

Früher hätten Kernindikatoren wie Wachstum, Beschäftigung und Inflation die Wahlchancen eines Amtsinhabers bestimmt, sagt SWP-Forscherin von Daniels. In den vergangenen Jahren habe sich allerdings etwas Entscheidendes verändert: "Zunehmend geht man von der gefühlten wirtschaftlichen Situation aus. Das ist bedingt durch Kampagnen und Desinformation - zum Teil auch über Social Media."

Es gelinge politischen Gegnern immer häufiger, den Eindruck zu erwecken, dass die Lage desaströs sei, obwohl die Daten das Gegenteil nahelegen. "Es geht nicht mehr nur um die wirtschaftliche Situation, sondern auch um die Frage, wie die Menschen sie wahrnehmen", so von Daniels. Nach Angaben des IMK haben Haushalte mit niedrigen Einkommen unter Bidens Präsidentschaft sogar größere Reallohnsteigerungen erfahren als die oberen Lohngruppen.

Für 2024 prognostiziert das Institut derweil ein US-Wirtschaftswachstum von 2,2 Prozent. "Zudem sehen wir deutliche Investitionssteigerungen in Schlüsselindustrien - wie beispielsweise der Batteriefertigung, der Fertigung von Photovoltaikanlagen und der Halbleiterindustrie", berichtet Bauermann. "Der IRA spielt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle, genauso wie der CHIPS-Act und der Infrastructure-Investment-and-Jobs-Act. Alles Teile von 'Bidenomics'."

Nachfolger sollte "auf Kontinuität" setzen

Nach dem Rückzug Bidens will nun Vizepräsidentin Kamala Harris das Duell gegen Donald Trump aufnehmen. "Harris stünde als Kandidatin für eine noch progressivere Wirtschaftspolitik als Joe Biden", sagt von Daniels. 2019 sei sie beispielsweise im Rahmen der Vorwahlen für eine noch höhere Besteuerung von 35 Prozent und eine starke Regulierung großer Konzerne eingetreten. Zudem habe sie eine Steuer auf Immobilieneigentum gefordert, mit der das Gehalt von Lehrerinnen und Lehrer deutlich erhöht werden sollte.

"Das ist sicherlich die Art von politischer Ankündigung, mit der man jetzt rechnen kann", so die Expertin. Die Demokratische Partei müsse nun ein Programm anbieten, dass sich ganz klar von der Agenda von Donald Trump und J.D. Vance unterscheidet. "Aus meiner Sicht dürfte das dazu führen, dass man im Wahlkampf kommunikativ stärker klassische linke Positionen - wie Forderungen nach mehr Umverteilung - vertritt und die unter Biden begonnenen Programme fortführt, vor allem die neue Industriepolitik."

IMK-Ökonom Bauermann sieht das ähnlich: Neben der Betonung der Unterschiede zu einer möglichen Trump-Administration könne es wichtig werden, Klimaschutz weiter als Jobmotor zu vermitteln und die Situation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anhaltend verbessern zu wollen. "Ich glaube, dass Präsident Biden in vielen Bereichen der Wirtschaftspolitik gut vorgelegt hat und sein Nachfolger hier auf Kontinuität setzen sollte." Vielleicht ist das Ende Bidens also doch kein Ende von "Bidenomics".