Drei Jahre nach überstürztem Abzug Afghanistan - schon wieder vergessen
Vor drei Jahren überrannten die Taliban Kabul. Menschen klammerten sich an Flugzeuge. In einer dramatischen Mission wurden Ortskräfte ausgeflogen. Und die Bundesregierung versprach, die Menschen nicht zu vergessen. Was ist daraus geworden?
Mohammad Azim trägt Maske und Sonnenbrille. Seinen echten Namen soll niemand erfahren. Er hat Angst und das ist auch dem Video anzusehen, das er aus Kabul geschickt hat: "Sie haben mich gefragt, wie es mir geht", fragt er uns. Wie soll es ihm schon gehen, sagt er. Einem Menschen, "der keine Sicherheit für sein Leben, sein Eigentum, seine Ehre, seine Familie und seine Kinder hat, der keine Arbeit hat und seinen Job verloren hat, der heimlich im Keller lebt und dem das Atmen schwerfällt?"
Mohammad Azim war Journalist - ein bekanntes Gesicht im afghanischen Fernsehen. Er hat über die Verbrechen der Taliban berichtet. Jetzt wartet er - als einer von Tausenden. Er soll nach Deutschland kommen, über das Bundesaufnahmeprogramm. Das ist gedacht für Journalisten, für Frauenrechtlerinnen oder für Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden.
Die Bundesregierung hat versprochen, sie alle nicht im Stich zu lassen und das sogar in den Koalitionsvertrag geschrieben. Doch was ist das noch wert? Die Bundesinnenministerin klingt zurückhaltend. Nancy Faeser sagt, Deutschland habe bereits viel getan. Sichert zu, dass die gestellten Anträge bearbeitet würden. Aber: "Wie die Zukunft ist, wie das finanziert werden kann, werden wir in den nächsten Wochen und Monaten sehen."
Kein Geld mehr
Um es klar zu sagen: Es gibt - Stand jetzt - kein Geld im nächsten Jahr. So heißt es aus dem Innenministerium mit Verweis auch auf die schwierige Lage im Bundeshaushalt. Das Auswärtige Amt dagegen pocht auf das Versprechen, das die Bundesregierung gegeben hat.
Deutschland hat bislang 34.000 Afghanen aufgenommen. Seit zwei Jahren gibt es das Bundesaufnahmeprogramm. Hier schlagen Nichtregierungsorganisationen Menschen vor. Die deutschen Behörden wählen aus, fordern Dokumente an, überprüfen die Personen. Erst dann gibt es ein Visum. In zwei Jahren sind nur etwa 600 über das Programm ausgereist.
Flüchtlinge bestreten auf dem Flughafen Kabul einen A400M der Bundeswehr. Deutschland hat 34.000 Afghanen aufgenommen - aber noch viele müssen unter der Taliban-Herrschaft ausharren.
"Wir wurden einfach belogen"
Eine der Organisationen, die Afghaninnen und Afghanen für das Programm vorschlagen, ist "Kabul Luftbrücke". Elaha Hakim arbeitet für die Organisation. Sie macht der Bundesregierung schwere Vorwürfe, spricht von immer neuen Hürden und gebrochenen Versprechen. "Wir wurden belogen. Die Zivilgesellschaft in Deutschland wurde einfach belogen", sagt sie. Menschen jetzt im Stich zu lassen, bedeute, sie in den Tod zu schicken.
"Reporter ohne Grenzen" formuliert es weniger drastisch, sieht aber auch eine große Bedrohung. Die Organisation hat bislang nur erreicht, dass sechs bedrohte Journalisten aus Afghanistan ausreisen konnten. Wenn es nun kein Geld mehr für das Programm gebe, "würde es bedeuten, dass Menschen in Afghanistan endgültig ihrem Schicksal überlassen werden", sagt Geschäftsführerin Anja Osterhaus. "Wir erinnern noch einmal daran, dass in Afghanistan mit den Taliban einer der schlimmsten Feinde der Pressefreiheit weltweit regiert."
Es sei von Anfang an falsch gewesen, etwas zu versprechen, meint dagegen der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm. Das Bundesaufnahmeprogramm laufe nach völlig intransparenten Kriterien. Es bestünden außerdem erhebliche Sicherheitsbedenken. Er sagt: "Dieses Bundesaufnahmeprogramm gehört sofort eingestellt."
Deutschland diskutiert wieder über Abschiebungen
Drei Jahre nach dem Fall von Kabul blickt Deutschland anders auf Afghanistan. Diskutiert darüber, Straftäter abzuschieben. Besonders, nachdem im Mai in Mannheim ein Afghane einen Polizisten ermordete. Sehr wahrscheinlich aus islamistischen Motiven. Der Bundeskanzler reagierte Tage später und kündigte an "Solche Straftäter gehören abgeschoben. Auch wenn sie aus Syrien oder Afghanistan stammen." Später ergänzte Olaf Scholz, dass ganz intensiv daran gearbeitet werde.
Doch wie soll Deutschland abschieben in ein Land, in dem Islamisten an der Macht sind? Die Taliban haben ihre Hilfe angeboten. Doch mit denen über Abschiebungen zu sprechen, wäre fatal, sagt der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig. "Dass man jetzt ausgerechnet mit den Vertretern eines geächteten Regimes anfängt, über Abschiebung zu reden, statt über Menschenrechte, finde ich dann schon sehr bedenklich."
Für Ruttig ist es kein Zufall, dass die Regierung jetzt über Abschiebungen spricht und kaum noch Afghanen aufnimmt. "Ja, die Regierung knickt ein vor Druck von Rechtsaußen, der sich inzwischen hier bis in die Mitte des politischen Lagers verlagert hat." Gerade vor den Wahlen im Osten will die Bundesregierung Härte zeigen. Das vermuten auch Organisationen, die immer noch versuchen, Menschen aus Afghanistan herauszubringen.
Härte zeigen im Wahljahr
Es ist eine Zeit, in der immer wieder auch von einer "Visa-Affäre" um Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu lesen ist. Hat das Auswärtige Amt nicht sorgfältig hingeschaut? Konnten Afghanen mit falschen Pässen einreisen, vielleicht sogar Menschen, die gefährlich sind? Staatsanwälte ermitteln gegen Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes.
Die Vorwürfe sind kleinteilig und im Detail kompliziert. Es geht zum Beispiel um das, was in der Diplomatensprache "Proxy-Pass" heißt. Das sind Pässe, die entweder nicht persönlich beantragt oder abgeholt wurden. Hier wurden in einigen Fällen Visa eingeklebt. Das hätte nicht passieren dürfen, räumt das Auswärtige Amt ein. Betont aber, dass die Inhaber der Pässe die Aufnahmeprogramme erfolgreich durchlaufen und auch keine Sicherheitsbedenken bestanden hätten.
"Als ob das Leben eines Afghanen keinen Wert hat"
Im August 2024 ist Afghanistan immer mehr vergessen. Experte Ruttig hat den Eindruck, dass die Bundesregierung nie mit dem Herzen in Afghanistan war und langsam reinen Tisch macht. Dabei sollte sie sich auf ihre Verantwortung für Afghanistan besinnen. Sie habe 20 Jahre lang erzählt, dass sie der zweitgrößte Truppensteller und Geldgeber ist. "Da jetzt auf einmal auf Null zu fahren und so zu tun, als habe man habe damit nichts zu tun, das geht völlig an der Sache vorbei."
Mohammad Azim in Kabul fühlt sich auch vergessen. Er hat Dokumente eingereicht und nichts mehr gehört. "Es scheint, als ob das Leben eines Afghanen für die Welt keinen Wert hat. Leider haben sie mich nicht mehr kontaktiert." Sechs Monate ist das her. Und jeden Tag schwindet die Hoffnung ein Stück mehr.