Steinmeier in der Ukraine "Es ist viel furchtbarer, als wir uns das vorstellen"
Jeder mitfühlende Mensch wolle, dass die Kämpfe in der Ukraine enden, sagt Bundespräsident Steinmeier. Im Interview mit den tagesthemen dämpft er aber Hoffnungen auf baldige Verhandlungen. Zudem brauche es einen neuen Umgang mit China.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich während seines Besuchs in der Ukraine erschüttert von den Kriegszerstörungen und Berichten der Menschen gezeigt. Im Interview mit den tagesthemen sagte er: "Es ist alles viel furchtbarer, als wir das uns in Deutschland vorstellen". Dass es Luftalarm gebe - auch Steinmeier musste wegen Luftalarms während seines Besuchs in einen Schutzkeller - könne man sich noch vorstellen. Doch die Geschichten der Menschen aus der Zeit der russischen Besatzung seien schon beim Zuhören unerträglich.
Zweifel am Verhandlungswillen Moskaus
Hoffnungen auf Verhandlungen dämpfte er: "Ich weiß, dass es diesen Wunsch und diese Forderung immer wieder gibt", sagte Steinmeier. "Und selbstverständlich, jeder, der denken kann und der Mitgefühl hat, wünscht sich, dass die Kämpfe zu Ende gehen. Aber wenn das auf einen gerechten Frieden hinauslaufen soll, dann kann ein Waffenstillstand nicht bedeuten, dass am Ende ein Landraub durch einen Waffenstillstand besiegelt wird", sagte Steinmeier. "Das bedeutet, dass Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine erhalten bleibt. An dem Punkt sind wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht."
Derzeit sehe er keine Anhaltspunkte, die auf baldige Verhandlungen hindeuteten, sagte Steinmeier. Angesichts der Befehle aus Moskau - ins Nachbarland einzumarschieren, den Willen des "Brudervolks" völlig zu ignorieren und das Völkerrecht zu brechen - habe er Zweifel, dass sich Moskau mit der Ukraine und dem Weste auf einen Frieden einigen könnte.
Neuer Umgang mit China
Aus den Fehler der deutschen Russlandpolitik, die Steinmeier als früherer Außenminister und Kanzleramtschef maßgeblich mitprägte, müsse gelernt werden. In Zukunft dürfe man nicht mehr darauf vertrauen, dass durch Handel auch Wandel entstehe, sagte Steinmeier. Die europäisch-russischen Beziehungen seien vielmehr ein Beleg dafür, dass wirtschaftlicher Austausch nicht automatisch auch in politische Annäherung münde. "Die Lehre zu ziehen heißt, wir müssen einseitige Abhängigkeiten verringern wo immer das geht. Das gilt gerade auch gegenüber China", sagte Steinmeier.
Ostasienpolitik neu ausrichten
"Es kommt sehr darauf an, dass wir sehr viel intensiver mit den Nachbarn Chinas reden." Diese könnten zwar nicht die deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen ersetzen, "aber Südostasien ist ein Raum mit 700 Millionen Einwohnern, wo ich glaube, wir das Verhältnis zu Ostasien auch durchaus neu ausbalancieren können."