Syrer feiern in Essen den Zusammenbruch des Regimes von Präsident Assad und den Umsturz in Syrien.

Syrer in Deutschland Neue Hoffnung auf eine Rückkehr

Stand: 10.12.2024 14:22 Uhr

Knapp eine Million syrische Menschen leben in Deutschland. Den Sturz des Assad-Regimes haben viele gefeiert. Wenig später beginnt die Asyl-Debatte. Gehen oder bleiben? Das fragen sich viele selbst.

Von Tobias Faißt und Tim Kukral, SWR

Jubelrufe unter syrischen Flaggen und Hupkonzerte der Autokorsos haben den Machtwechsel in Syrien mitten in Deutschlands Städten unüberhörbar gemacht. Nur wenig später dröhnt die Frage durchs Land, wie mit den syrischen Geflüchteten umgegangen werden soll. Asylentscheidungen wurden aufgrund der unklaren Lage in Syrien vorerst gestoppt.

"Dass viele Menschen zurückgehen werden, davon bin ich überzeugt", sagt Ryyan Alshebl. Wie so viele kam er vor neun Jahren während der sogenannten Flüchtlingskrise nach Deutschland. Mitte 2023 wurde der Syrer im baden-württembergischen Ostelsheim zum Bürgermeister gewählt.

Der Grünen-Politiker hat in der Nacht auf Sonntag nicht geschlafen, berichtet er tagesschau.de. "Ich habe die ganze Nacht Gänsehaut gehabt und natürlich auch geheult", sagt Alshebl über den Moment, als das Ende des Assad-Regimes gemeldet wurde.

Ryyan Alshebl

Ryyan Alshebl ist über das Mittelmeer nach Europa und später nach Deutschland geflüchtet. Neun Jahre später ist er heute Bürgermeister der Gemeinde Ostelsheim in Baden-Württemberg.

Syrische Hoffnung in ganz Deutschland

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums lebten Ende Oktober fast eine Million Menschen mit syrischer Herkunft in Deutschland. Wie bei Alshebl hat sich in ihrem Leben seitdem viel verändert. Viele haben einen Job. Knapp 200.000 syrische Kinder besuchen in Deutschland aktuell eine Schule, 50.000 weitere eine Berufsschule.

Jetzt ist die Zukunft der Menschen erneut völlig offen. Denn der Umsturz in Syrien schenkt neue Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat.

Alshebl: Leben in Deutschland "nur übergangsweise"

Seine Einschätzung, dass viele zurück in die Heimat gehen, stützt Alshebl auf Gespräche mit syrischen Landsleuten in Deutschland: "Die sagen, irgendwie ist das hier nur übergangsweise."

Die Hoffnung auf ein neues Syrien ist jedenfalls groß. Das wurde auf den zahlreichen Demonstrationen deutlich. In Stuttgart, Essen und Berlin feierten mehrere Tausend Menschen auf der Straße, tanzten und fielen sich in die Arme.

"Ich wünsche mir sehr, dass das syrische Volk auf den Prinzipien von Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit ein neues demokratisches System in Syrien aufbaut", sagt der Sänger Mazen Mohsen. Auch er lebt heute in Baden-Württemberg an. Der Marbacher hat 2021 an der bundesweiten Show "The Voice of Germany" teilgenommen und so Bekanntheit erlangt.

Bürgerrechtler wünscht sich "menschlichen Staat"

Der Name Anwar al-Bunni ist im Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg international bekannt geworden. Der Menschenrechtsanwalt ist 2014 nach Deutschland geflüchtet. Er hat den ersten Prozess wegen staatlicher Folter in Syrien vor einem deutschen Gericht angestoßen. "Es ist nun Zeit, Syrien wieder aufzubauen als einen menschlichen Staat", sagt al-Bunni in Berlin, wo er heute lebt.

"Viele Syrer werden zurückkehren. Manche werden vielleicht pendeln, aber viele werden zurückkehren, um in Syrien zu leben", schätzt der Vorsitzende des syrischen Zentrums für Rechtswissenschaften und Forschung.

Schlangen an Grenzübergängen

Die Frage nach Gehen oder Bleiben kommt bei vielen Syrern auf. Rahim al-Khattab spricht al-Bunni in Berlin auf der Straße an. Er sagt tagesschau.de: "Gott sei Dank ist Syrien heute wieder frei und wir werden uns vielleicht wieder in Syrien sehen."

Eine vage Andeutung, die zeigt, wie unsicher auch die syrischen Menschen in Deutschland die Lage in der Heimat aktuell wahrnehmen. Die Islamisten-Gruppe HTS spricht zwar schon von einer neuen Regierung. Wie genau diese aussieht und dann auch agiert, ist noch offen.

Dennoch haben an Grenzübergängen von der Türkei nach Syrien viele die Frage nach einer Rückkehr schon beantwortet. Dort haben Hunderte Menschen bereits versucht, zurück nach Syrien einzureisen.

Bürgermeister besucht Syrien im Sommer

Auch Ryyan Alshebl möchte im Sommer in sein Heimatland reisen. Aber nur zu einem Besuch, um nach neun Jahren endlich mal wieder seine Familie zu sehen. "Meine Eltern hoffen, dass sie ihre drei Söhne, die alle ins Ausland geflohen sind, endlich wiedersehen können", sagt der Ostelsheimer Bürgermeister.

Gewählt ist Alshebl bis 2031. Eine baldige Rückkehr von ihm nach Syrien erscheint daher unwahrscheinlich. "Wie es langfristig aussieht, kann heute nicht spekuliert werden", sagt er.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 10. Dezember 2024 um 14:00 Uhr.