Nach Ende der Ampelkoalition Wovon hängt der Termin für Neuwahlen ab?
Die Neuwahl des Bundestags ist logistisch eine Herausforderung für Bund, Kommunen, Wahlleiter und Parteien. Was muss bedacht werden, um einen Termin zu finden? Und wie lange ist der Bundestag beschlussfähig? Ein Überblick.
Die Wahlleitungen von Bund und Ländern wollen heute virtuell über die Vorbereitung zur vorgezogenen Wahl des Bundestags beraten. Den Wahltermin kennen sie noch nicht, darum wird in der Politik noch gerungen.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zunächst den 15. Januar für die Vertrauensfrage und Ende März als möglichen Zeitpunkt für die Neuwahl genannt. Union und FDP wollen einen früheren Termin. Der Kanzler zeigte sich zuletzt gesprächsbereit.
Bundeswahlleiterin Ruth Brand warnte in einem Brief an Kanzler Scholz, eine Verkürzung des ohnehin sehr knappen Zeitraums könne zu "unabwägbaren Risiken" auf allen Ebenen führen, insbesondere in den Gemeinden. Ein Desaster wie die Berliner Pannen-Wahl von 2021 soll unbedingt vermieden werden.
Welche Fristen gibt es?
Scholz hatte ursprünglich angekündigt, dem Bundestag die Vertrauensfrage so zu stellen, dass das Parlament am 15. Januar darüber abstimmen könne. Den formellen Antrag, ihm das Vertrauen auszusprechen, müsste Scholz laut Artikel 68 des Grundgesetzes 48 Stunden vorher stellen, also am 13. Januar.
Wenn der Bundestag Scholz wie erwartet das Vertrauen verweigert, kann der Bundespräsident das Parlament auflösen. Frank-Walter Steinmeier hat signalisiert, dass er grünes Licht geben könnte. Für diese Entscheidung hat er laut Grundgesetz 21 Tage Zeit.
Gemäß Artikel 39 muss der Bundestag nach Auflösung des Parlaments durch den Bundespräsidenten innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden. Bundeswahlleiterin Brand will die Frist voll ausschöpfen, "um alle erforderlichen Maßnahmen rechtssicher und fristgemäß treffen zu können". Die Wahl sei essenziell für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie.
Eine wichtige Rolle spielt auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die SPD-Politikerin kann nach Paragraph 52 des Bundeswahlgesetzes weitere Fristen, die im Bundeswahlgesetz und in der Bundeswahlordnung genannt sind, durch Rechtsverordnung verkürzen. Bei der letzten vorgezogenen Neuwahl 2005 wurde das auch so gemacht: Die Frist für kleinere Parteien, die ihre Teilnahme anzeigen wollen, wurde auf 47 Tage verkürzt, die Frist für die Aufstellung von Listen und Kandidaten auf 35 Tage.
Falls die Beteiligten zu dem Schluss kommen, dass ihnen das Pannenrisiko angesichts der Weihnachtsferien zu groß ist, könnte ein weiteres Szenario ins Spiel kommen: Falls Scholz statt im Januar bereits in einer der letzten Bundestagssitzungen vor der Weihnachtspause über die Vertrauensfrage abstimmen lässt, hätte Steinmeier die Möglichkeit, den Bundestag nach den Feiertagen Anfang Januar aufzulösen.
Welche anderen Termine gibt es zu beachten?
Wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag erst nach den Weihnachtsferien auflöst, liefe die 60-Tage-Frist bis Anfang März. Doch zwischen Ende Januar und Ende März liegen in den meisten Bundesländern erneut verschiedene Schulferienzeiten, was Wahlkampf und Vorbereitungen beeinträchtigen könnte.
Hinzu kommt, dass im Fall der von Brand geforderten Ausschöpfung der Frist frühestens am 2. März gewählt werden könnte. An diesem Sonntag wird allerdings in mehreren Regionen Karneval, Fastnacht beziehungsweise Fasching gefeiert. Das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen bereitet sich auf den Rosenmontag vor, und das von der CSU dominierte Bayern geht in die Faschingsferien.
Unterdessen wählt Hamburg am 2. März sein Landesparlament, die Bürgerschaft. Das könnte auch deswegen zum Politikum werden, weil Scholz früher Bürgermeister der Hansestadt war. In Hamburg ist die SPD einerseits traditionell stark, und die Partei könnte bundespolitisch von örtlichem Rückenwind profitieren. Andererseits muss die Landespartei Umfragen zufolge Stimmenverluste befürchten, während die CDU auf Zugewinne hoffen kann.
Was sind die logistischen Herausforderungen?
Es müssen Wahlausschüsse auf Kreis- und Landesebene berufen, Wahlhelfende geworben und geschult werden. 2021 waren rund 650.000 ehrenamtliche Wahlhelferinnen und Wahlhelfer am Wahltag in den Wahllokalen und bei der Briefwahl im Einsatz. Es müssen Wahlräume gefunden und ausgestattet werden, bei der Wahl 2021 gab es rund 60.000 Wahllokale.
An mehr als 60 Millionen Wählerinnen und Wähler müssen Wahlbenachrichtigungen verschickt werden. Hinzu kommen der Versand der Briefwahlunterlagen und die Einrichtung von Briefwahlbezirken - 25.000 waren es 2021. Brand weist zudem auf die Bereitstellung und Prüfung der notwendigen IT-Infrastruktur und die Gefahr von Cyberangriffen hin.
Auch die Parteien haben vor der Wahl viel zu regeln. Die Kandidaten für die 299 Wahlkreise müssen bestimmt, Landeslisten aufgestellt und von Parteiversammlungen beschlossen werden.
Kleinere Parteien müssen Unterstützerunterschriften sammeln und diese von den Gemeinden bescheinigen lassen. Für diese kleinen Parteien gibt es eine spezielle Frist: Spätestens 13 Wochen vor der Wahl müssen sie beim Bundeswahlleiter schriftlich anzeigen, dass sie an der Bundestagswahl teilnehmen wollen.
Worum geht es beim Treffen der Wahlleiter?
Die Wahlleitungen von Bund und Ländern beraten heute über die Vorbereitung der vorgezogenen Wahl. Die Bundeswahlleiterin hat "selbstverständlich mit den Vorbereitungen für eine mögliche Neuwahl begonnen, um die Herausforderungen durch die verkürzten Fristen gemeinsam mit allen Beteiligten bewältigen zu können", machte Brand am Freitag auf der Plattform X deutlich.
Zugleich besteht Bedarf am Austausch von Informationen mit den Landeswahlleitungen. In der Besprechung soll es auch um neue Verfahren nach einer Änderung der Bundeswahlordnung gehen. Ein wichtiger Punkt hierbei: Wer für den Bundestag kandidiert, muss nicht mehr seine private Adresse preisgeben. Geburtsjahr und Wohnort genügen. Das soll das Risiko minimieren, Opfer von Gewalttaten oder politisch motiviertem Stalking zu werden.
Schon am Dienstag könnte es für Bundeswahlleiterin Brand das nächste Treffen geben: Die Fraktionen von SPD und Grünen haben eine öffentliche Sondersitzung des Wahlprüfungsausschusses des Bundestags beantragt. Es sei dort "mit der Bundeswahlleiterin zu diskutieren, wann die Neuwahl aus ihrer Sicht mit ihrer praktischen Erfahrung frühestens stattfinden kann", heißt es in einem Antragsschreiben an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas.
Welche Bedenken gibt es aus den Ländern?
Berlins Landeswahlleiter Stephan Bröchler warnt eindringlich vor einem zu frühen Termin für die Neuwahl des Bundestages. "Ich kann nur raten, besonnen an das Thema heranzugehen, auf Fachleute zu hören und jetzt nicht in einen Sofortismus bei der Feststellung des Wahltermins zu verfallen", sagte Bröchler der Nachrichtenagentur dpa. "Es geht um die Sicherstellung der Qualität demokratischer Wahlen in Deutschland. Das ist ein hohes Gut, und ich möchte nicht, dass die Wahl am Ende wiederholt werden muss."
Natürlich müsse eine Neuwahl auch für Januar organisiert werden, wenn das politisch gewollt und vom Bundespräsidenten so entschieden werde. "Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das die Qualität demokratischer Wahlen gefährdet", so Bröchler, der nach schweren Wahlpannen in Berlin 2021 ins Amt kam und seither unter anderem zwei Wiederholungswahlen organisiert hat. "Wenn wir die hohen Qualitätsstandards, die wir in Bund und Ländern haben, halten wollen, dann rate ich von einem Wahltermin im Januar ab."
Was war 2021 in Berlin passiert?
Am 26. September 2021 wurden in Berlin neben dem Bundestag auch Landes- und Bezirksparlamente gewählt, hinzu kam ein Volksentscheid zur Enteignung von Wohnungsbaugesellschaften. Aufgrund von Straßensperrungen wegen des Berlin-Marathons gab es Probleme in vielen Wahllokalen. Es gab lange Schlangen, fehlende oder falsche Stimmzettel, manche Wähler gaben ihre Stimme nach 18 Uhr ab, als schon Prognosen veröffentlicht wurden. Die Wahlen auf Landes- und Bezirksebene sowie Teile der Bundestagswahl mussten schließlich wiederholt werden.
Lassen sich rechtzeitig genug Stimmzettel beschaffen?
Auch diesen Punkt spricht Brand an. In den vergangenen Jahren sei die Beschaffung von Papier und die Beauftragung geeigneter Druckdienstleiter zunehmend erschwert und mit längerem Vorlauf verbunden gewesen.
Die Papierindustrie hält dagegen. "Klare Antwort: Ja. Bei rechtzeitiger Bestellung können wir das benötigte Papier für eine vorgezogene Bundestagswahl liefern", sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbands Papierindustrie, Alexander von Reibnitz, bei ZDFheute.de.
Einer der Haupt-Stimmzettellieferanten, die Bonner Druckerei Köllen Druck, sieht bei einem Wahltermin im Januar dennoch Risiken. Beim Druck würden immer Fehler passieren, Zeit für Korrekturen gebe es bei einem so engen Zeitkorsett aber nicht, erklärt Geschäftsführer Bastian Beeck im Magazin Stern.
Die Auslieferung an die Kommunen könne erst im Januar erfolgen, da sie vor Weihnachten nicht möglich sei und ab Weihnachten bis Neujahr keine Speditionen zu bekommen seien, weil die oftmals ausländischen Fahrer dann in der Heimat seien. Das Zeitfenster für die Briefwahl würde daher "bei einem derart frühen Wahltermin besonders kurz ausfallen", sagt Beeck. Er spricht von etwa einer Woche.
Wie reagiert die Politik auf die Bedenken?
Die Bedenken von Bundeswahlleiterin Brand weist die Unionsfraktion zurück. "Ich kann der Bundeswahlleiterin daher nur raten, sich von niemandem instrumentalisieren zu lassen", sagt Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei der Bild am Sonntag.
Brand wies den Vorwurf zurück. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich mahnte indes in der Süddeutschen Zeitung, rechtliche und praktische Voraussetzungen für die Neuwahl seien ernstzunehmen.
Wie lange ist der Bundestag beschlussfähig?
Der "aufgelöste" Bundestag bleibt bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages bestehen. Es gibt also auch zwischen einer Vertrauensfrage und einer Neuwahl keine parlamentslose Zeit in Deutschland. Wichtige Beschlüsse können bis zur Bildung einer neuen Regierung weiterhin getroffen werden, wenn sich die erforderlichen Mehrheiten dafür finden.