Wahltermine, Gesetze, Haushalt Wie es nach dem Ampel-Aus weitergeht
Nach dem Bruch der Ampel wird nicht nur über den Termin für Neuwahlen gestritten. Es geht auch um Vorhaben wie die Rentenreform und Steuerentlastungen. Und dann muss auch noch wer den Haushalt machen. Was jetzt ansteht.
Die Ausgangslage
Nach zwei Jahren und elf Monaten ist zerbrochen, was nie wirklich zusammengepasst hat: Deutschlands erste Ampelkoalition. Seit Mittwoch steht Kanzler Olaf Scholz einer Minderheitsregierung vor, mit einem FDP-freien Rumpfkabinett und ohne parlamentarische Mehrheit. Das Land steht vor einer vorgezogenen Neuwahl des Bundestags - nur wann, darüber wird derzeit gerangelt. Die Mehrheit der Deutschen will laut ARD-DeutschlandTrend schnelle Neuwahlen. Bis es so weit ist, dürfte in Deutschland politisch wenig vorangehen. Dabei hätte die Ampel noch diverse Vorhaben abzuarbeiten gehabt. Auch der Haushalt ist nicht beschlossen.
Was sind die nächsten Termine?
Am Montag wollen sich die Wahlleiter und Wahlleiterinnen von Bund und Ländern für eine erste Besprechung der Wahlvorbereitung treffen. Einen Bericht des Redaktionsnetzwerk Deutschland bestätigte das Büro der Bundeswahlleitung. Wie auch bei regulären Wahlen bestehe Bedarf zum Austausch über neue Verfahren nach einer Änderung der Bundeswahlordnung. Bundeswahlleiterin Ruth Brand hatte am Freitag vor einer überstürzten Neuwahl gewarnt. Aus organisatorischen Gründen sei eine Neuwahl im Januar oder Februar riskant, schrieb sie in einem Brief an den Kanzler.
Am Mittwoch ist Bundestag. Nach Meinung von Oppositionschef Friedrich Merz sollte Scholz in dieser Sitzung die Vertrauensfrage stellen. Eine Regierungssprecherin sagte aber bereits, dass der Kanzler nicht vorhabe, dies zu tun. Was Scholz an dem Tag im Bundestag tun wird: eine Regierungserklärung zur "aktuellen Lage" abgeben. Ab 13 Uhr sind 30 Minuten dafür vorgesehen. In der anschließenden zweistündigen Aussprache dürfte es hoch her gehen. Merz wird sprechen und auch CSU-Chef Markus Söder wird laut Süddeutscher Zeitung eigens aus Bayern anreisen, um im Bundestag zu sprechen. Als Mitglied des Bundesrats dürfen auch Länderchefs im Parlament das Wort ergreifen. Die Union wird auf einen früheren Wahltermin drängen, vom 19. Januar ist hier die Rede. Die jetzt auch offiziell wieder Oppositionspartei FDP drängt Scholz ebenfalls dazu, den Weg für schnelle Neuwahlen freizumachen.
Die Grünen als Noch-Regierungspartei mit Neu-Kanzlerkandidat Robert Habeck sprachen sich gegen eine zu lange Hängepartie aus - und damit indirekt für baldige Neuwahlen. Am nächsten Wochenende treffen sich die Grünen in Wiesbaden zum Bundesparteitag, um ihre neue Führungsriege zu wählen, ihren Kanzlerkandidaten zu bestätigen und sicherlich auch erste inhaltliche Pflöcke für den Bundestagswahlkampf einzuschlagen.
Auch die SPD nimmt Kurs auf Wahlkampf. Für den 30. November sei eine "Wahlsieg-Konferenz" in Berlin geplant, sagte Generalsekretär Matthias Miersch. Nach dem Rücktritt von Kevin Kühnert ist Miersch erstmals oberster Wahlkampfmanager der Partei.
Warum wird über den Zeitpunkt der Vertrauensfrage gestritten?
Vom Zeitpunkt der Vertrauensfrage hängt der Wahltermin ab. Scholz hatte angekündigt, dem Bundestag die Vertrauensfrage so zu stellen, dass das Parlament am 15. Januar darüber abstimmen könne. Den formellen Antrag, ihm das Vertrauen auszusprechen, müsste Scholz laut Artikel 68 des Grundgesetzes 48 Stunden vorher stellen, also am 13. Januar. Als Wahltermin brachte Scholz "spätestens Ende März" ins Spiel. Der Kanzler argumentierte mit politischen Vorhaben, die er im Dezember noch umsetzen möchte. Da seine rot-grüne Rumpfregierung aber aber keine Mehrheit mehr hat im Parlament, ist er auf die Zusammenarbeit mit der Union angewiesen.
Womöglich spielen auch taktische Erwägungen bei Scholz eine Rolle. Am 2. März wählt Hamburg. Hier ist die SPD traditionell stark. Für die Genossen im Bund also eine willkommene Rampe für die Bundestagswahl.
Angesichts der breiten Kritik an seinem Terminvorschlag signalisierte Scholz inzwischen Bereitschaft, parteiübergreifend eine Verständigung über den Wahltermin zu suchen. Generalsekretär Miersch machte aber zugleich klar: Vorher müsste die Union mit der SPD "wichtige Projekte" auf den parlamentarischen Weg bringen. Also erst Zusammenarbeit, dann Vertrauensfrage.
Doch auch praktisch-organisatorische und rechtliche Gründe sprechen für eine gewissen Vorlauf bis zur Bundestagswahl. Berücksichtigt werden müssen gesetzliche Fristen, logistische Aufgaben, Ferien und Feiertage, also vor allem Weihnachten, Faschingsferien in Bayern, Rosenmontag in NRW. Denn sobald die Vertrauensfrage verloren und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag aufgelöst hat, tickt die Uhr: Dann bleiben laut Artikel 39 des Grundgesetzes maximal 60 Tage Zeit, um den Bundestag neu zu wählen.
Und die braucht es aus Sicht der Bundeswahlleitung auch. Die Vorbereitung der Wahl sei ein Kraftakt vor allem für kleinere Parteien und für Behörden, insbesondere kommunale Wahlbehörden, warnte Bundeswahlleiterin Brand. Zu den Vorbereitungen gehören auch die Suche von Räumen für Wahllokale und Briefwahllokale, die Suche nach Wahlhelferinnen und Wahlhelfern sowie die Erstellung und der Druck der Wahlunterlagen. Gerade der Versand der Briefwahlunterlagen und Wahlbenachrichtigungen müsse mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf vor dem Wahltermin erfolgen, heißt es in der Erklärung. Hier seien die Kommunen auf die Aufstellung der Kandidatinnen und Kandidaten durch die Parteien und die Einreichung der Wahlvorschläge, angewiesen.
All das fiele bei einem Wahltermin bereits im Januar auch in die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel. Was alles bei einer Wahl schief gehen kann, zeigte die chaotische Abstimmung 2021 in Berlin. Sie musste aufgrund zahlreicher Pannen wiederholt werden.
Auch die Parteien müssen bei einem schnellen Wahltermin Gas geben. Zwar sind die Vorbereitungen längst angelaufen und beispielsweise in vielen Wahlkreisen schon Kandidatinnen und Kandidaten nominiert worden. Aber längst noch nicht alle. Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat noch nicht einmal Landesverbände in Bayern, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Auch müssen Spitzenkandidaten bestimmt, Landeslisten aufgestellt, Wahlprogramme geschrieben, Parteitage abgehalten und Wahlkampagnen organisiert werden.
Was will die Union?
Die Union signalisiert wenig Lust, der "Rest-Regierung" noch politische Erfolge zu gönnen. Sie will so schnell wie möglich neu wählen und Merz zum Kanzler küren. Angesichts der Umfragewerte ein durchaus realistisches Szenario. Ihre Forderung daher an Scholz: erst Vertrauensfrage und danach darüber reden, bei welchen politischen Vorhaben eventuell zusammen was geht. Dass die Bundeswahlleiterin öffentlich vor einem früheren Termin warnte und damit Scholz' Zeitplan indirekt unterstützte, stieß bei der Union daher auf Kritik. Von "Instrumentalisierung" war die Rede. Das wiederum kam bei der SPD nicht gut an. "Nur weil der Union die Aussage der Bundeswahlleiterin nicht passt, darf man sie nicht so diskreditieren", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast.
Hintergrund der Kritik ist auch, dass Brand am 1. Januar 2023 von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zur Präsidentin des Statistischen Bundesamtes berufen wurde. In dieser Funktion ist sie traditionsgemäß auch Bundeswahlleiterin.
Rente, Kindergeld, Wirtschaftshilfen - was kann noch umgesetzt werden?
Die Ampelregierung hatte noch große Projekte auf der Liste, die noch nicht umgesetzt sind. Was jetzt daraus wird, ist offen. Ziemlich sicher lässt sich sagen, dass die Kindergrundsicherung nicht kommen wird. Aber die Umsetzung des einstigen Großprojekts der Grünen wäre auch ohne Ampel-Bruch sehr fraglich gewesen.
Rente, Wirtschaftspaket, Kindergeld-Erhöhung und Steuerentlastungen - das wollen Scholz und seine Minderheitsregierung unbedingt noch durch den Bundestag bringen. CDU-Chef Merz sagte, die Union werde weiterhin richtigen Gesetzen zustimmen. Also, was aus Sicht der Union richtig ist.
Auch die FDP könnte der Rest-Regierung bei Beschlüssen helfen. Fraktionschef Christian Dürr bot Scholz eine Zusammenarbeit an - allerdings unter ähnlichen Bedingungen wie die Union: "Überall da, wo wir Gutes fürs Land und für die Menschen bewirken können, sind wir gesprächsbereit und wollen handeln", sagte Dürr der Augsburger Allgemeinen.
Arbeitsminister Hubertus Heil will vor allem das gemeinsam mit Ex-Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner auf den Weg gebrachte Rentenpaket noch durch den Bundestag bringen. Das Paket soll nicht nur Regelungen zur langfristigen Stabilisierung der Renten umfassen - auf Betreiben der FDP sollen auch Milliarden am Aktienmarkt angelegt werden, um mit der Rendite Beitragserhöhungen abzufedern.
Ab Januar sollte das Kindergeld steigen und auch der Kindersofortzuschlag für Familien mit geringem Einkommen. Gut möglich, dass das nun erstmal nicht klappt. In der Schwebe auch: die geplante Stärkung des Bundesverfassungsgerichts.
Außerdem droht eine höhere Steuerbelastung. Denn die Ampel wollte eigentlich sicherstellen, dass Steuerzahler nicht noch mehr unter der hohen Inflation leiden. Jetzt könnte passieren, dass die sogenannte Kalte Progression nicht aufgefangen wird - dass Bürger also durch den ansteigenden Steuertarif auch dann mehr an den Fiskus zahlen müssen, wenn ihre Gehaltserhöhung nur die Inflation ausgleicht.
Der damalige Finanzminister Lindner plante, den Grundfreibetrag und die anderen Eckwerte des Steuertarifs so zu verschieben, dass höhere Steuersätze erst später greifen. Nur die Grenze für die Reichensteuer, die noch über dem Spitzensteuersatz liegt, sollte gleich bleiben - damit die Allerreichsten weniger stark entlastet werden.
Auch in der Asylpolitik hatte die Ampel noch Pläne. Noch am Mittwochvormittag wenige Stunden vor dem Ampel-Aus gab die Koalition grünes Licht für zwei Gesetzesänderungen. Vorgesehen ist unter anderem eine Verpflichtung zur Identitätskontrolle bei Ankommenden. Asylbewerber mit einer EU-weiten Schutzquote von unter 20 Prozent sollen ihr Verfahren an der EU-Außengrenze durchlaufen.
Das Kabinett hatte auch die Pläne für ein neues Wehrdienstmodell auf den Weg gebracht. Erklärtes Ziel von SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius ist es, dass alle jungen Männer, die vom kommenden Jahr an 18 Jahre alt werden, in einem digitalen Fragebogen Auskunft über ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Militärdienst geben müssen, junge Frauen können dies machen. Der Zeitplan ist ambitioniert: Der neue Wehrdienst soll bereits im Frühjahr kommenden Jahres starten. Dafür müssten aber Bundestag und Bundesrat zustimmen.
Um der deutschen Industrie aus der Krise zu helfen, hatte Kanzler Scholz einen "Pakt für die Industrie" angekündigt, der sehr konkrete Maßnahmen umfassen solle, um den Standort zu stärken. Dabei dürfte es vor allem um Entlastung bei den im internationalen Vergleich hohen Energiepreisen gehen. Bis Jahresende will Scholz nun unbedingt "Sofortmaßnahmen" für die Industrie durchsetzen. Konkret sagte er, die Netzentgelte für Unternehmen sollten gedeckelt werden und es solle ein Paket geschnürt werden, das Jobs in der Automobilindustrie und bei den vielen Zuliefererbetrieben sichere. Denkbar wären zum Beispiel neue Fördermaßnahmen, um den Absatz von Elektroautos anzukurbeln. Maßnahmen zur Stärkung der Industrie würden aber Milliarden kosten. Geld, das die Bundesregierung nicht hat - Stichwort Haushalt.
Der Haushalt ist nicht beschlossen - geht der Regierung das Geld aus?
Am Streit über den Haushalt ist die Ampel letztendlich zerbrochen. Für das laufende Jahr muss der Bundestag noch einen Nachtragshaushalt beschließen. Dieser ist erforderlich, weil im Haushalt mehr Geld für die Förderung von Öko-Strom und für das Bürgergeld benötigt wird. Dafür sollte laut Entwurf die Neuverschuldung im Rahmen der Schuldenbremse um 11,3 Milliarden Euro auf 50,3 Milliarden Euro steigen. Die Koalition wollte dies nach neuem Zeitplan eigentlich am Freitag nächster Woche verabschieden. Ein Beschluss in diesem Jahr wäre zwingend, weil die Neuverschuldung nicht nachträglich erst im nächsten Jahr erhöht werden kann. Dieser steht nun auf der Kippe - die FDP machte deutlich, dass sie dem bisher vorliegenden Entwurf im Bundestag nicht zustimmen kann.
Um eine Haushaltssperre zu vermeiden, plant der neue Finanzminister Jörg Kukies offenbar mit den Milliarden-Fördermitteln, die wegen der Verzögerung beim Intel-Chipwerk in Magdeburg freigeworden sind. Kukies könnte laut Handelsblatt einen Teil der Intel-Subventionen nutzen, um die Förderung erneuerbarer Energien zu finanzieren.
Mit dem Scheitern der Ampel läuft es voraussichtlich auch darauf hinaus, dass der Bundestag in diesem Jahr keinen Etat für 2025 beschließen kann. Das ist nicht ungewöhnlich - in Jahren mit einer Bundestagswahl im Herbst ist das regelmäßig der Fall, weil nach Koalitionsverhandlungen zunächst eine neue Regierung gebildet werden muss, die dann einen neuen Etatentwurf vorlegt. Dann greift ab 2025 die vorläufige Haushaltsführung. Diese stellt sicher, dass der Bund nicht zahlungsunfähig ist, sondern auf Grundlage von Artikel 111 im Grundgesetz allen Verpflichtungen nachkommen kann. Es werden zwar Pflichtleistungen wie das Bürgergeld weiter gezahlt.
Was nicht verpflichtend, nicht gesetzlich verankert oder schon begonnen ist, wird hingegen womöglich auf Eis gelegt. Unklar ist zum Beispiel, ob der Preis für das Deutschlandticket weiter steigen muss. Der aus der FDP ausgetretene Verkehrsminister Volker Wissing deutete hier noch Gesprächsbedarf an. Wissing will vor allem die Sanierung der Bahn unbedingt noch vorantreiben. "Die finanziellen Mittel sind vorhanden", sagte er dem ARD-Hauptstadtstudio. Er werde alles tun, damit es nicht zu Verzögerungen bei der Generalsanierung komme.