Händler an der New York Stock Exchange.
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DAX, Wall Street und Co. Was den Börsen weltweit zu schaffen macht

Stand: 05.08.2024 14:18 Uhr

Die Börsen weltweit sind auf Talfahrt. Die Gründe dafür sind vielfältig. In den USA herrscht Angst vor einer Rezession. Auch die Kriegsgefahr in Nahost verunsichert Anleger.

Eine Analyse von Michelle Goddemeier, ARD-Finanzredaktion

Im Frühjahr jagte am deutschen Aktienmarkt noch ein Rekord den nächsten. Der DAX erreichte in diesem Jahr eine Bestmarke. Er kletterte im Mai auf über 18.800 Punkte. Auch die Standardwerte an der Wall Street verzeichneten noch vor wenigen Wochen einen Aufwärtstrend. Der Dow Jones erreichte im Juli einen Rekordstand. Der Leitindex erreichte zwischenzeitlich über 41.100 Punkte.

Doch nun zeigt sich ein deutlicher Abwärtstrend an den weltweiten Börsen. Der DAX fiel am Freitag wieder deutlich unter die Marke von 18.000 Punkten. Und auch der Leitindex Dow Jones verlor an Boden und lag unter 40.000 Punkten. Die japanischen Börsenkurse haben am Montag sogar den schlimmsten Absturz seit mehr als 35 Jahren erlebt. Der Leitindex Nikkei 225 verzeichnete ein Minus von über 12 Prozent und damit den stärksten Tagesverlust seit dem "schwarzen Montag" im Oktober 1987.

Schwache Konjunkturdaten, Probleme am Arbeitsmarkt

Doch wie kommt die aktuelle Talfahrt an den Börsen zustande? Dafür gibt es vielfältige Gründe. Ein großer Treiber ist die Angst vor einer Rezession in den USA. Investorinnen und Investoren sorgen sich, dass der Zustand der US-Wirtschaft schlechter sein könnte als angenommen und stoßen zahlreiche Aktien ab. Devisenexperten der Commerzbank sprechen von einer "Panik am Markt im Hinblick auf die US-Konjunktur".

Hintergrund sind die zuletzt schwachen Konjunkturdaten. Der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe in den USA etwa sank im Juli auf 46,8 Punkte von 48,5 Zählern im Juni. Ökonomen hatten mit einem Anstieg des Barometers auf 48,8 Punkte gerechnet. Und auch der bisher robuste Arbeitsmarkt in den USA zeigt zunehmend Anzeichen von Schwäche. Im Juli hat die größte Volkswirtschaft der Welt überraschend wenig neue Stellen geschaffen, und die Arbeitslosigkeit erreichte den höchsten Stand seit fast drei Jahren.

"Das zeigt, dass die Wirtschaft zu niedrig und die Zinsen zu hoch sind", sagte Ascan Iredi von der Plutos Vermögensverwaltung der ARD-Finanzredaktion. In den USA habe man nicht nur eine Stagflation, es sei sogar eine Rezession möglich.

Wahrscheinlichkeit für Rezession in den USA

Diese Aussagen unterstützen auch andere Experten. "Wir haben unsere Wahrscheinlichkeit für eine Rezession in den nächsten zwölf Monaten um zehn Prozentpunkte auf 25 Prozent erhöht", erklärten die Analysten des Finanzhauses Goldman Sachs in einer aktuellen Studie. Noch pessimistischer zeigen sich die Analysten von JPMorgan, die die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA sogar auf 50 Prozent schätzen.

"In den vergangenen Monaten erzeugten starke Konjunkturdaten die Illusion einer US-Wirtschaft, der nichts etwas anhaben kann", analysierte Jochen Stanzl von CMC Markets. Nun werde diese Vorstellung entzaubert, und erstmals reagierten die Börsen auf schwache Daten. "Der Kurseinbruch geht einher mit einem Realitätseinbruch. Eine Rezession in der US-Wirtschaft wird plötzlich wieder für möglich gehalten", so der Experte.

Die Anlegerinnen und Anleger ließen sich nicht mal von der Nachricht auf möglicherweise sinkende Zinsen beruhigen: Die US-Notenbank Fed gab am Mittwochabend Hinweise auf eine Leitzinssenkung im September. In Erwartung einer konjunkturellen Abkühlung rechnet Goldman Sachs mit Zinssenkungen der Fed im September, November und Dezember um jeweils einen Viertelprozentpunkt.

Bitcoin fällt unter 50.000 US-Dollar

Auch der Bitcoin gab zum Wochenstart kräftig nach. Der Kurs der ältesten und bekanntesten Kryptowährung sackte am Montagmorgen zwischenzeitlich auf unter 50.000 US-Dollar. Das ist der niedrigste Werte seit Februar. Seit Freitagabend hat der Bitcoin über 10.000 Dollar an Wert verloren. Einen vergleichbar starken Kurseinbruch hatte es zuletzt im Juni 2022 gegeben. Die zweitwichtigste Kryptowährung Ether wurde ebenfalls hart getroffen.

Analyst Timo Emden von Emden-Research sprach von einem "Cocktail der Unsicherheit", der den Bitcoin derzeit belastet. Insbesondere die neu entfachten Rezessionsängste in den USA erwischten Anleger auf dem falschen Fuß. "Ein deutliches Reißen der technischen Marke von 50.000 Dollar könnte Börsianer in den Panikmodus versetzen", sagte Emden.

Boomt der Tech-Sektor noch?

Auch die Angst im Tech-Sektor spielt eine Rolle bei der Talfahrt an den Börsen. Die US-Technologieriesen Apple, Amazon und Intel stellten in der vergangenen Woche enttäuschende Quartalsberichte vor. Intel kündigte nach einem überraschend deutlichen Gewinneinbruch ein milliardenschweres Sparprogramm mit Massenentlassungen an. Amazon und Apple konnten mit ihren veröffentlichten Zahlen die hochgesteckten Markterwartungen nicht erfüllen. Anleger warfen deshalb vor allem Tech-Werte aus den Depots.

Zudem litten Technologiewerte heute unter einem Bericht, demzufolge der Chip-Produzent Nvidia den Start neuer KI-Chips wegen sogenannter Designmängel verschiebt. Nvidia war zuletzt als großer Profiteur von Künstlicher Intelligenz das Zugpferd der allgemeinen Börsen-Rally. "Wir sehen seit vielen Monaten und Jahren die gutlaufenden Technologie-Aktien. Das alles ist jetzt eine vielleicht etwas überspitzte, aber auch notwendige, Marktkorrektur", sagt Analyst Iredi.

Generell geht die Furcht um, dass sich Investitionen in Künstliche Intelligenz erst später als gedacht rechnen könnten. Zum einen kommt das Wachstum im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) mit enormen Kosten daher, was die Margen schmälert und hohe Aktienbewertungen plötzlich als übertrieben erscheinen lässt. "Und zum anderen entfalten die restriktive Geldpolitik von Europäischer Zentralbank und Federal Reserve nun ihre Wirkung", sagt Jochen Stanzl von CMC Markets.

Unsicherheiten wegen des Nahost-Konflikts

Zusätzlicher Faktor an den Börsen ist die Unsicherheit rund um den Nahost-Konflikt. Anlegerinnen und Anleger fragen sich besorgt, ob eine weitere Eskalation droht. Israel und die Vereinigten Staaten stellen sich nach der Tötung des politischen Anführers der islamistischen Hamas in Teheran auf Vergeltungsschläge des Iran und seiner Verbündeten ein. Damit verstärkt sich die Gefahr der Ausweitung des Kriegs in der ölreichen Region.

Das macht vor allem Sorgen hinsichtlich der Energiepreise: Denn ein Drittel von rund 100 Millionen Barrel Öl pro Tag kommt aus dem Nahen Osten. Schon oft sei von einem drohenden Flächenbrand in der für die Ölproduktion wichtigen Region die Rede gewesen, aber "noch nie war das Risiko so hoch wie heute", sagt Jürgen Molnar vom Broker RoboMarkets.

Und selbst wenn die Ölpreise sinken sollten, ist das kein gutes Zeichen. Denn das zeigt eine sinkende Nachfrage und somit schlechte Bedingungen in der Wirtschaft. "Investoren haben eine schwierige Aufgabe zu bewältigen: Sie müssen abwägen zwischen den Wahrscheinlichkeiten, die für eine Beruhigung der geopolitischen Lage oder eine Eskalation sprechen", sagte Analyst Stanzl von CMC Markets.

Aktuelle Entwicklungen stützen den Goldpreis

Davon profitiert der Goldpreis. Er hat in der vergangenen Woche zugelegt. Da die Anlage in das Edelmetall keine Zinsen abwirft, erhöht die Aussicht auf eine Senkung der Zinsen die Goldnachfrage. "Zudem stützen die sich verschärfenden geopolitischen Unruhen im Nahen Osten den Goldpreis", sagte Edelmetallhändler Alexander Zumpfe vom Handelshaus Heraeus. Seiner Einschätzung nach profitierte das Edelmetall von seiner Rolle als sicherer Hafen.

Die Kurse von deutschen und US-Staatsanleihen sind am Freitag ebenfalls gestiegen. Eine trübe Stimmung am Aktienmarkt sorgte für mehr Nachfrage nach festverzinslichen Papieren. Auch hier sorgen Zinssenkungserwartungen für steigende Kurse. Hinzu kommt die Sicherheit der Anlage. Angesichts der Talfahrt am Aktienmarkt steigen Anleger bei der Suche nach sicheren Investitionen verstärkt bei Staatsanleihen ein. Deutsche Bundesanleihen gelten als sicheres Investment, da deren Bonität von allen großen Ratingagenturen mit der Bestnote AAA bewertet werden.