Ampel-Regierung in der Krise Woran die Koalition scheitern könnte
Kanzler Scholz und Vizekanzler Habeck werben ausgesprochen deutlich für ein Fortbestehen der Koalition. Wie konnte es so weit kommen? Und woran könnte das Bündnis zerbrechen? Ein Überblick.
Zusammenraufen oder hinschmeißen? In der Ampelkoalition herrscht Krisenstimmung. Der Terminkalender der Parteispitzen ist prall gefüllt und auch die Themenliste für die Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist lang. Darunter die Zukunft des Ampel-Bündnisses, die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik und das Ergebnis der US-Wahl.
Bereits am Sonntagabend trafen sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Kanzleramt zum Gespräch.
Bei welchen Themen gibt es Uneinigkeit?
Im Vordergrund stehen zwei Themen: das Milliardenloch im Bundeshaushalt, das bis zur Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses gestopft werden muss, und der Kurs, um aus der Wirtschaftskrise zu kommen.
Der Streit innerhalb der Koalition hatte sich zuletzt durch den Vorschlag von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für einen staatlichen Investitions- und Infrastrukturfonds und ein Papier von Lindner mit Ideen für eine wirtschaftspolitische Kehrtwende verschärft. Darin fordert der FDP-Chef eine "Wirtschaftswende" mit einer "teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen". Konkret ist von einem sofortigen Moratorium zum Stopp aller neuen Regulierungen die Rede. Weiter heißt es, als Sofortmaßnahme solle der Solidaritätszuschlag für alle entfallen, und nationale Klimaziele müssten durch europäische ersetzt werden.
Von politischen Beobachtern wurden Vergleiche gezogen zu einem Konzept des damaligen Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff (FDP) in der sozialliberalen Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD). Das Papier aus dem Jahr 1982 machte eine Reihe von Vorschlägen für eine "Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" - und ist als "Scheidungsbrief" in die Geschichte eingegangen. Wenige Tage später, am 1. Oktober 1982, wurde Helmut Kohl (CDU) mit einem konstruktiven Misstrauensvotum zum neuen Bundeskanzler gewählt.
Wie steht es um die wirtschaftliche Lage?
Für 2024 wird das zweite Rezessionsjahr in Folge erwartet. Deutschland hinkt anderen großen Wirtschaftsnationen hinterher. Am schlechtesten von allen Wirtschaftszweigen sei die Lage in der Industrie, ergab eine Konjunkturumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Sinnbildlich steht die Krise bei VW, wo es um Werksschließungen und Job-Abbau geht.
Kanzler Scholz kündigte nach einem Industriegipfel an, mit einem "Pakt für die Industrie", der sehr konkrete Maßnahmen umfasse, solle der Standort gestärkt werden. Welche Maßnahmen das sein sollen, sagte Scholz aber nicht. Am 15. November soll es weitergehen.
Die FDP veranstaltete am Tag des ersten Industriegipfels eine Art Gegengipfel mit Wirtschaftsverbänden, die nicht bei Scholz eingeladen waren. Die separaten Gipfel sorgten für Kritik und Kopfschütteln.
Was ist mit der Wachstumsinitiative?
Im Juli hatte die Bundesregierung die Wachstumsinitiative angekündigt. Geplant sind zum Beispiel Verbesserungen bei Abschreibungen von Investitionen, der Abbau von Bürokratie und mehr Anreize für Arbeit. Beim umstrittenen Lieferkettengesetz soll es Entlastungen für Firmen geben. Nach Einschätzung der Regierung könnte das Paket im nächsten Jahr zu einem zusätzlichen Wachstum von mehr als einem halben Prozent führen.
Aber von der Wachstumsinitiative ist noch nichts umgesetzt, viele Maßnahmen sind bisher nicht einmal vom Kabinett auf den Weg gebracht worden. Bei zentralen Punkten wie steuerlichen Verbesserungen muss der Bundesrat zustimmen. Weil es Steuermindereinnahmen auch für die Länder geben soll, werden harte Verhandlungen erwartet.
Offen ist auch, wie Maßnahmen etwa zur Senkung der Stromkosten finanziert werden sollen. Scholz sprach sich für einen milliardenschweren Bundeszuschuss zu den Netzentgelten aus. Das Geld könnte aus eigentlich vorgesehen Fördermitteln für Intel kommen. Der kriselnde Chipkonzern hatte den Bau eines Werks in Magdeburg verschoben. Lindner könnte die Intel-Milliarden aber gut gebrauchen, um Lücken im Haushalt 2025 zu schließen.
Habeck signalisierte am Montag Bereitschaft, die für Intel vorgesehenen Milliarden zur Reduzierung von Haushaltslöchern zu nutzen.
Was sagen Scholz und Habeck?
Der Kanzler und der Vizekanzler warnten am Montag energisch vor einem Platzen der Koalition. Scholz forderte die Koalition auf, Differenzen zu überwinden. Er bestehe darauf, dass die Regierung ihre Arbeit zu machen habe und Pragmatismus dafür die richtige Maßgabe sei, sagte er. "Wir haben dafür eine Grundlage. Das ist der Koalitionsvertrag. Der ist verhandelt", unterstrich Scholz.
Ähnlich äußerte sich Habeck in den tagesthemen: "Jetzt ist der schlechteste Zeitpunkt, die Regierung platzen zu lassen", sagte er. Der Grünen-Politiker verwies dabei auf die großen Herausforderungen, vor denen Europa stehe. "Das ist kein Spiel." Ohne Haushalt sei man über einen längeren Zeitraum politisch nicht voll handlungsfähig.
"Die letzten Tage waren schlecht für Deutschland", gab er zu, "und schlecht für diese Regierung". Das Vertrauen sei strapaziert, so Habeck. Man sei aber vor allem gewählt worden, um gegenüber der Herausforderungen der Zeit seine Pflicht zu tun: "Und die gebietet, dass wir das Ding zusammenzimmern."
Wie geht es jetzt weiter?
In den nächsten Tagen sollen mehrere Dreier-Treffen von Scholz, Habeck und Lindner stattfinden. Am Mittwoch kommt dann der Koalitionsausschuss zusammen, dem auch die Partei- und Fraktionsvorsitzenden angehören.
Am 14. November ist die Haushaltsbereinigungssitzung geplant, bis dahin sollten die Probleme mit dem Etat 2025 weitgehend aus dem Weg geschafft werden. Eine Rolle könnte auch der Ausgang der Wahl in den USA spielen, die am Dienstag stattfindet.
Kanzler Scholz glaubt, dass die Ampel-Regierung bis zum regulären Wahltermin am 28. September 2025 zusammenhalten wird. "Ich gehe davon aus, dass diese Regierung konstruktiv bis zum regulären Termin der Bundestagswahl im nächsten Jahr zusammenarbeiten wird", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in Berlin. Er betonte auf Nachfrage, dass dies auch die Meinung des Kanzlers sei.