Ein Mitarbeiter der Partzsch Unternehmensgruppe arbeitet in einer Fertigungshalle an einem Windkraftstator für Windkraftanlagen.
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Personalnot der Firmen Wo Beschäftigte aus Syrien am Arbeitsmarkt fehlen würden

Stand: 11.12.2024 05:44 Uhr

Fast eine Million Syrer leben in Deutschland, rund 30 Prozent von ihnen arbeiten hierzulande. Welche Folgen hätte es für den Arbeitsmarkt, wenn sie Deutschland wieder verlassen würden?

Von Lilli-Marie Hiltscher, ARD-Finanzredaktion

Obwohl nach dem Sturz des ehemaligen syrischen Machthabers Baschar al-Assad vieles an der Lage im Land unklar ist, hat hierzulande bereits eine Diskussion über die Zukunft der Syrer in Deutschland begonnen. Laut Bundesinnenministerium lebten mit Stand 31. Oktober insgesamt 974.136 Menschen mit syrischer Herkunft in der Bundesrepublik. Rund ein Drittel geht einer Arbeit nach. Welche Folgen hätte es für den deutschen Arbeitsmarkt, wenn sie bei einer Stabilisierung der politischen Lage in Syrien wieder in ihre Heimat zurückkehren würden?

Zahl der Beschäftigten steigt

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren im Mai 2024 insgesamt 222.610 Menschen mit syrischer Staatsangehörigkeit in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das heißt, sie zahlen unter anderem in die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung ein. Hinzu kommen noch einmal rund 65.000 Minijobber.

"Die Zahl der Syrer, die in Deutschland einer Beschäftigung nachgehen, steigt seit Jahren. Wir beobachten, dass Integration über die Zeit deutlicher Fortschritte macht", sagt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Syrerinnen und Syrer machen in der Gruppe der Ausländer, die im deutschen Arbeitsmarkt beschäftigt sind, aber dennoch nur einen kleinen Teil aus, wie ein Blick auf die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigt: Insgesamt waren laut Statistik im Mai dieses Jahres 5.561.000 Ausländer in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Vor allem Männer sind im Job

Besonders bei Frauen ist der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach wie vor gering: Nur 14 Prozent der Frauen mit syrischer Staatsangehörigkeit arbeiteten im Mai 2024 in einem Beruf, in dem sie auch Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zahlen. Insgesamt lag die Beschäftigungsquote syrischer Staatsangehöriger in Deutschland, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, im Mai 2024 bei 32,7 Prozent. Das geht aus Daten der Bundesagentur für Arbeit hervor.

"Nur ein vergleichsweise geringer Anteil der erwachsenen syrischen Staatsangehörigen in Deutschland ist bislang als Fachkraft beschäftigt und leistet damit einen Beitrag dazu, die Lücken am Arbeitsmarkt zu schließen", sagt Wido Geis-Thöne, Experte für Migrationsfragen vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, beim Blick auf diese Zahlen. "Wir haben aktuell noch wesentlich mehr erwachsene syrische Staatsangehörige im Transferleistungsbezug als in der Beschäftigung", so Geis-Thöne gegenüber tagesschau.de.

Komplizierte Anerkennung von Abschlüssen

Das liegt dem IW-Experten zufolge zum Teil auch daran, dass sich die Integration der Syrer in den deutschen Arbeitsmarkt - verglichen mit Menschen aus den neuen EU-Mitgliedsländern und den Westbalkanländern - schwierig gestalte. So kann die Sprachbarriere ein Problem sein, ebenso wie die Anerkennung von Abschlüssen.

All das mache über die Jahre aber Fortschritte, betont Enzo Weber im Gespräch mit tagesschau.de. Deutschland sei mittlerweile - fast zehn Jahre nach der ersten Flüchtlingswelle - bei der Integration syrischer Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt im europaweiten Vergleich Vorreiter.

Rund 5.800 syrische Ärzte in Deutschland

Doch in welchen Branchen arbeiten die 222.610 Menschen, die hierzulande sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind? "44 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Syrer sind hierzulande als Helfer angestellt, 44 Prozent aber auch als Fachkräfte", erklärt Weber. Die meisten Menschen aus dem Bürgerkriegsland sind in Deutschland in der Berufsgruppe "Verkehr, Logistik, Sicherheit" beschäftigt, aber auch in der Produktion oder im Dienstleistungsbereich.

Die anderen elf Prozent der hier beschäftigten Syrer sind laut Weber "auf noch höheren Niveaus" angestellt, also als Spezialisten oder Experten. Darunter fallen laut Weber auch die rund 5.800 syrischen Ärzte, die in Deutschland arbeiten.

Eine Rückkehr dieser Mediziner in ihre Heimat würde die Engpässe im Gesundheitswesen verschärfen. "Verlassen sie in größerer Zahl Deutschland wieder, wird dies in der Personaldecke ohne Zweifel spürbar sein", sagt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, dem Spiegel. Syrische Ärzte spielten vor allem in Krankenhäusern kleinerer Städte eine wichtige Rolle dabei, die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten.

Möglicher Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit

Laut IAB-Experte Weber liegt der Anteil von Menschen aus Syrien an den Gesamtbeschäftigten in fast allen Berufsgruppen bei unter einem Prozent. Würden sie in das Land zurückkehren, würde der deutsche Arbeitsmarkt aus seiner Sicht "nicht ausbluten." Die Erfahrungen aus anderen Flüchtlingsbewegungen zeigten zudem, dass viele auch bleiben wollten. Indes herrscht in Deutschland Mangel an Fachkräften und insgesamt an Personal in praktisch allen Branchen.

Also hätte es Folgen für den Arbeitsmarkt, wenn auch syrische Beschäftigte mit befristetem Aufenthaltstitel ausreisen würden. "Allerdings wäre davon auszugehen, dass den betreffenden Personen bei einem Entzug der bisherigen Aufenthaltstitel die Möglichkeit gegeben würde, Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit zu beantragen, womit der negative Effekt stark abgefedert würde", sagt Wido Geis-Thöne vom IW.

Enzo Weber weist noch auf einen anderen Aspekt hin: Syrer könnten mit der Erfahrung und Qualifikation aus Deutschland wertvolle Beiträge beim Wiederaufbau ihres Landes leisten - und in der Zukunft wichtige Ansprechpartner für deutsche Belange in der Region sein.