Spiegels Rücktritt An den eigenen Ansprüchen gescheitert
Familienministerin Spiegel ist vor allem an den hohen Ansprüchen an sich selbst gescheitert. Die Erschütterung bei den Grünen darüber ist allerdings nur wenig glaubwürdig.
Krisen können für Politiker eine Chance sein, sich zu profilieren und vielleicht in die Geschichtsbücher einzugehen. So wie Helmut Schmidt während der Sturmflut von 1962. Krisen können für Politiker aber auch zur Gefahr werden. Das hat gerade Anne Spiegel erlebt.
Der Bundesfamilienministerin ist die Unwetterkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Jahr zum Verhängnis geworden. Weniger wegen der Schuldfrage, wer wann nicht rechtzeitig gewarnt hat. Darüber wird in Rheinland-Pfalz immer noch gestritten. Und Spiegel ist nur eine von vielen Verantwortlichen.
Die damalige Familien- und Umweltministerin hat vor allem die Empörung unterschätzt, die eine urlaubende Landespolitikerin in Chaos-Tagen auslöst. Ihre Motive hat sie bis vor wenigen Tagen verheimlicht, sie hat zu Notlügen gegriffen. Etwa als sie erklärte, sie hätte sich aus dem Urlaub zu den Kabinettssitzungen zuschalten lassen. Diese Fehler hat Spiegel jetzt eingestanden und Konsequenzen gezogen.
Druck und Überforderung
Gescheitert ist die 41-jährige Grüne vor allem an den hohen Ansprüchen an sich selbst. Klar sollte jede junge Frau die Chance haben, politisch aktiv zu sein, Ministerin zu werden. Auch, wenn sie Kinder hat. Doch so wie Spiegel jetzt ihre innere und familiäre Krise nach außen kehrt, in ungewohnter und für viele erschütternder Offenheit, das signalisiert Druck und Überforderung.
In ihrem ministeriellen Umfeld, unter ihren Unterstützern und auch in ihrer Partei scheint das keiner gewusst zu haben. Die Erschütterung darüber, die Grünen-Chefin Ricarda Lang heute mit Grabesstimme vortrug, ist deshalb wenig glaubwürdig. Die Partei wollte Spiegel vor allem aus Proporz-Gründen als Bundesministerin. Sie gehört dem linken Flügel an, sie ist jung, in der Familienpolitik engagiert.
Die Grünen genossen den Überraschungs-Effekt, niemand hatte die Kandidatin auf dem Zettel. Die große Chance für Spiegel wurde zur Krise. Zu einer Lebens- und Karriere-Krise. Der Partei, so Grünen-Co-Chef Omid Nouripour heute, habe sie nicht geschadet.