Schweden Europas Norden erwärmt sich laut Studie schneller
Seit 1860 hat sich die Temperatur in Schweden um 1,9 Grad erhöht. Das zeigt eine Studie des Wetter- und Klimainstituts SMHI. Damit liegt der Wert fast doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt.
In diesem Jahr kam der Winter sehr früh in Schweden. Schon Mitte November gab es fast einen halben Meter Schnee. Aber an diesem grauen Spätherbsttag schaut an vielen Stellen vor dem schwedischen Wetter- und Klima-Institut SMHI schon wieder das Gras hervor. Es taut.
Das Staatliche Hydrologische und Meteorologische Institut hat seinen Sitz in Norrköping, gut zwei Stunden südwestlich von Stockholm. Im Keller des nüchternen Backsteingebäudes lagere ein wahrer Schatz, erzählt Semjon Schimanke. Er hat in Berlin seinen Doktor für Meteorologie gemacht und arbeitet seit ein paar Jahren für das SMHI.
Doppelt so hohe Erwärmung wie im weltweiten Mittel
Die Kollegen in seiner Arbeitsgruppe seien fast täglich im Keller und beschäftigten sich damit, sagt Schimanke. "Ich selbst ehrlich gesagt nicht." Er ist für die Auswertung der Daten zuständig. Und seit wenigen Tagen liegt die bisher umfassendste Studie zu Klimaveränderungen im Land vor. Danach steht fest: Das Klima verändert sich im Norden Europas schneller als im Rest der Welt.
Schimanke und sein Team haben zwei Zeitperioden verglichen: von 1861 bis 1890 - das sind 30 Jahre - und dann noch einmal von 1991 bis 2020 - ebenfalls 30 Jahre. Das Ergebnis: In diesem Vergleichszeitraum hat sich die Temperatur in Schweden um 1,9 Grad Celsius erhöht. "Und wenn man sich für den gleichen Zeitraum das globale Mittel anschaut, dann ist es um 0,9 Grad wärmer geworden. Wir sehen also, dass in Schweden der Temperaturanstieg ein bisschen mehr als doppelt so hoch ist wie beim globalen Mittel. Und das ist schon erheblich."
Auch saubere Luft verstärkte Temperaturanstieg
Der Grund dafür ist vor allem der wachsende CO2-Gehalt in der Atomsphäre. Daran gebe es heute keinen Zweifel mehr, so Schimanke. Aber gleichzeitig sei die Luft seit den 1980er-Jahren über Schweden und Teilen Europas deutlich sauberer geworden. So paradox es klingt - auch das verstärke den Temperaturanstieg. Auch das haben die Daten gezeigt.
Es habe weniger Partikel in der Luft gegeben, die die Strahlung streuten und somit für weniger Strahlung am Boden sorgten, erklärt er. "Gleichzeitig hat der Partikelgehalt auch einen Einfluss auf die Anzahl der Wolken. Und da sehen wir, dass die Sonneneinstrahlung seit Mitte der 1980er-Jahre wieder zugenommen hat, und das hat sicherlich auch lokal zu einer Temperaturerhöhung geführt."
Mehr Niederschläge, weniger Schnee
Noch etwas lässt sich aus den Wetterdaten ablesen: Die Niederschläge nehmen zu. Sie fallen aber vor allem als Regen. Die Tage, an denen Schweden unter einer Schneedecke liegt, gehen seit 1950 deutlich zurück.
Im Foyer des Instituts trifft sich Schimanke mit Erik Kjellström. Er ist Professor für Klimatologie und lehrt auch an der Universität Stockholm. Dass sich gerade das Klima in den nördlichen Breitengraden - insbesondere in der Arktis - besonders schnell verändere, dafür gebe es inzwischen einen wissenschaftlich gesicherten Grund, sagt Kjellström: "Wir sehen da eine Rückkopplung, beziehungsweise einen verstärkenden Effekt. Wenn Schnee und Eis weniger werden, dann gibt es am Boden eine andere Form der Reflexion."
Dadurch würde mehr der einfallenden Sonnenstrahlung aufgenommen. Das trage zusätzlich zur Erwärmung bei. "Und dann fehlt die Schneedecke auf dem Boden, die die Erde auch isoliert. Es gibt mehrerer dieser Effekte. Und das führt dazu, dass sich die Erde rund um die Arktis, aber zum Beispiel auch in der Nähe von Gebirgsketten wie dem Himalaya oder den Alpen schneller erwärmt."
Künftiger CO2-Ausstoß entscheidet über Ausmaß
Dass in einem Land wie Schweden die Temperatur in gut 150 Jahren um fast zwei Grad Celsius gestiegen ist, ist für das Klima eine enorme Veränderung. Einige Modelle sagen voraus, dass bis Ende des Jahrhunderts nochmal bis zu vier Grad Celsius dazukommen könnten. Stockholm hätte dann Temperaturen wie heute Frankfurt.
Wie stark der Anstieg wirklich werde, hänge aber von vielen Faktoren ab, sagt Kjellström. "Zum einen wissen wir, dass wir heute nach wie vor einen hohen CO2-Ausstoß haben - das Klimasystem wärmt sich auf. Also da sind wir uns ganz sicher: die Zukunft wird wärmer werden." Unsicher bleibe aber, um wie viel es wärmer werde. Der größte Unsicherheitsfaktor sei der künftige CO2-Ausstoß. "Und da sind wir dann wieder bei den Klimaverhandlungen und was dafür unternommen wird, den CO2-Ausstoß zu begrenzen."
Draußen vor dem Institut hat es inzwischen angefangen zu regnen. Zwischen dem Schnee haben sich große Pfützen gebildet. Die künftigen Winter in Schweden werden immer häufiger aussehen wie an diesem grauen Novembertag.