Geheime Gefängnisse auf Fähren Angekettet übers Meer
Auf Mittelmeerfähren werden Flüchtlinge unter unwürdigen Bedingungen gefangen gehalten, um sie so von Italien zurück nach Griechenland zu bringen. Dies belegen Recherchen des ARD-Magazins Monitor und von Medienpartnern.
Ein schmaler Metallschacht, ausgelegt mit Pappkartons, darauf ein dünnes Laken. Ein düsterer Ort im Unterdeck einer Fähre, die Reisende über das Mittelmeer transportiert. Offenbar wurden in diesem engen Raum Flüchtlinge gefangen gehalten, die von Italien nach Griechenland zurückverfrachtet werden.
Es gibt mehrere solcher Orte auf den Fährschiffen: Nicht mehr benutzte Toilettenräume oder ein einfaches Metallregal am Rande eines Parkdecks. Sie alle dienen offenbar dazu, Asylsuchende festzuhalten - manche mehr als 30 Stunden lang, teils angekettet, ohne die Möglichkeit, zu schlafen oder auf die Toilette zu gehen. Dies geht aus einer gemeinsamen Recherche des ARD-Magazins Monitor mit Lighthouse Reports, SRF, Al Jazeera und Domani hervor.
Immer wieder berichten Betroffene und Hilfsorganisationen davon, dass Asylsuchende in solchen inoffiziellen Gefängnissen eingesperrt werden. Auch Balooch erzählt davon. Er ist 17 Jahre alt, kommt aus Afghanistan und haust gemeinsam mit anderen Flüchtenden in einer Fabrikruine in der griechischen Hafenstadt Patras. Keine Fenster, es regnet rein, ist kalt. Toiletten gibt es in der alten Fabrik keine, erzählt er. Es riecht nach Schimmel und Moder.
Balooch ist einer der Flüchtenden, der von seiner Abschiebung zurück nach Griechenland berichtet.
Ein paar halbzerfetzte Zelte gegen die Kälte und den Regen stehen auf dem kalten Beton. Nach der Flucht vor Krieg und Taliban in Afghanistan versucht Balooch nun, wie viele andere, diesem Elend in Griechenland zu entkommen. Unter Lkw versteckt versuchen die Flüchtlinge, sich im Hafen von Patras auf Fähren zu schmuggeln, um so nach Italien zu gelangen.
Gefangen und festgekettet auf hoher See
Balooch hat es schon einmal geschafft, erzählt er, doch in Italien wurde er entdeckt. Die Grenzpolizei habe ihn nur kurz festgehalten und dann - ohne jegliches Verfahren - zurück auf die Fähre gebracht. "Auf der Fähre steckten sie mich in einen kleinen Raum. Es war dunkel, es gab keine Matratze, kein Bett, nur einen kleinen Ventilator. Essen oder Wasser habe ich nicht bekommen", berichtet Balooch.
Die Fahrten von Italien zurück nach Griechenland dauern lange, teilweise mehr als 30 Stunden. Andere Flüchtlinge berichten von ähnlichen Erlebnissen, teilweise seien sie sogar mit Handschellen die ganze Fahrt über gefesselt gewesen.
In einem engen Raum, der eher aussieht wie ein Metallschacht, sollen Flüchtende eingesperrt worden sein.
Im Rahmen der europäischen Recherche-Kooperation ist es nun erstmals gelungen, die Existenz solcher inoffiziellen Gefängnisse auf den Passagierschiffen nachzuweisen. Anhand eines Fotos, das einen Flüchtling zeigt, der mit Handschellen an ein Metallregal festgekettet wurde, konnte dieser Ort identifiziert werden - auch ein enger Metallschacht, der laut Aussagen von Flüchtlingen als Gefängniszelle fungierte. Und ein nicht mehr funktionsfähiger Toilettenraum, in den Flüchtlinge laut eigenen Angaben eingesperrt wurden, konnten Journalistinnen und Journalisten der Recherchegruppe auf einer Fähre identifizieren. Fährmitarbeiter bestätigten die die Existenz solcher Räume.
Verstoß gegen Menschenrechtskonvention
"Das verletzt Vorgaben aus dem Unionsrecht, und das verletzt auch Vorgaben aus der Europäischen Menschenrechtskonvention", sagt Dana Schmalz vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Diese Art der Unterbringung sei ein klarer Verstoß gegen die Menschenwürde. Das zuständige Fährunternehmen bestreitet auf Anfrage jegliche Vorwürfe. Etwas Derartiges würde auf keiner der Fähren vorkommen, man halte sich stets an nationales und internationales Recht.
Dabei haben Menschenrechtsorganisationen in den letzten Jahren immer wieder von menschenunwürdigen Bedingungen bei Zurückweisungen von Italien nach Griechenland berichtet. Sie beschrieben zudem, dass die Asylsuchenden in Italien innerhalb kürzester Zeit und ohne ausreichendes Verfahren zurück nach Griechenland gezwungen würden.
Die neuen Recherchen dokumentieren nun, dass diese illegalen Praktiken nach wie vor andauern. Das italienische Innenministerium nahm auf Anfrage keine Stellung. Giovanni Signer, Polizeidirektor der Stadt Bari - eine der Hafenstädte, in der Fähren aus Griechenland ankommen - weist im Interview jegliche Vorwürfe zurück. Jeder Asylsuchende erhalte bei ihnen ein angemessenes Verfahren.
Abschiebungen ins griechische Elend
Erminia Rizzi arbeitet in Bari als Rechtsberaterin für Asyl- und Migration. Für sie ist klar, dass von angemessenen Verfahren überhaupt keine Rede sein könne. Die Grenzpolizei schirme ankommende Flüchtlinge komplett ab, bevor die Menschen dann zurück auf die Schiffe gebracht würden. Alles laufe enorm intransparent ab, daher gebe es auch keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viele Menschen ohne jegliches Verfahren wieder zurückgeschickt würden, so Rizzi.
Dabei schreibt das europäische Recht genau vor, wie mit ankommenden Flüchtenden innerhalb der EU umgegangen werden muss. Dabei gehe es nicht ausschließlich darum, in welchem Land Menschen zuerst angekommen sind, sagt die Juristin Dana Schmalz. Geprüft werden müsse auch, ob es überhaupt rechtmäßig sei, Menschen nach Griechenland zurückzuschicken. "Es gab jetzt immer wieder Urteile, auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Bedingungen für Asylsuchende und sogar auch für anerkannte Flüchtlinge in Griechenland unzulänglich sind", so Schmalz.
Italien bereits 2014 verurteilt
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte Italien bereits 2014 wegen kollektiver Zurückweisungen ohne angemessene Verfahren verurteilt. Der Gerichtshof entschied damals, dass Italien rechtswidrig Asylsuchende, die als blinde Passagiere auf Schiffen ins Land gekommen waren, zurück nach Griechenland geschickt hatte, ohne dass sie die Möglichkeit hatten, in Italien einen Asylantrag zu stellen.
Dass die EU einen andauernden Verstoß gegen europäisches Recht billigend in Kauf nehme, kritisiert Wenzel Michalski von Human Rights Watch. "Man möchte möglichst viele Migrantinnen und Migranten fernhalten. Die Festung Europa, von der so oft gesprochen wird, zeigt hier wieder ihr hässliches Gesicht", so Michalski.
Die EU-Kommission betont auf Anfrage, ein effizienter Grenzschutz müsse fest mit der Achtung der Menschenwürde und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung verbunden sein. Man erwarte von betroffenen Ländern, alle Vorwürfe zu untersuchen und etwaiges Fehlverhalten zu verfolgen.