Ein Schild des Europäischen Gerichtshofs im Europaviertel auf dem Kirchberg im Luxemburg.
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Internationale Recherche Weniger Transparenz nach EuGH-Urteil

Stand: 10.02.2023 06:00 Uhr

Aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs haben viele Länder ihre Transparenzregister geschlossen oder den Zugang eingeschränkt. Internationale Recherchen zeigen nun: Einer der damaligen Kläger hatte offenbar Verbindungen nach Russland.

Von Benedikt Strunz und Sebastian Pittelkow (NDR), Palina Milling und Petra Blum (WDR)

Rolle rückwärts in der Europäischen Union: Nicht erst seit Verhängung der Russland-Sanktionen sind Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer oder Berechtigte von Firmen von großer Bedeutung.

Transparenzregister gaben bis vor Kurzem in vielen europäischen Ländern online jedem darüber Auskunft, wem eine Firma tatsächlich gehört. Sie halfen damit etwa Staatsanwaltschaften, Steuerfahndern oder Journalisten, Firmengeflechte und wirtschaftliche Interessen von Einzelpersonen einfach und schnell aufzudecken, und sie halfen bei der Durchsetzung von Sanktionen.

Doch Ende November 2022 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass der elektronisch leicht zugängliche Datenabruf für jedermann in solchen Transparenzregistern europarechtswidrig sei. Die EU muss nun ihre Geldwäsche-Richtlinie überarbeiten und die Privatsphäre von Firmeneigentümern besser schützen. Die Kehrseite: EU-Staaten schlossen reihenweise ihre Transparenzregister - und erschweren so den Kampf gegen Korruption, Geldwäsche, Terrorfinanzierung und die Durchsetzung etwa von Russland-Sanktionen.

Luxemburger Unternehmer klagte

Ausgerechnet wegen Russland-Verbindungen zieht jetzt einer der Kläger, dem der EuGH Recht gegeben hatte, besonderes Interesse auf sich: Patrick Hansen aus Luxemburg, Geschäftsführer und Miteigentümer der luxemburgischen Privatfluggesellschaft Luxaviation, einer der größten privaten Fluggesellschaften in Europa, gerne genutzt von prominenten Gästen wie erst jüngst vom britischen König Charles III.

Hansen und weitere Kläger sahen ihre Sicherheit und die ihrer Familien in Gefahr, solange in Transparenzregistern für jedermann mit einem einfachen Datenzugriff ersichtlich werden konnte, welche Firmen er persönlich besitzt oder besaß. Die Kläger forderten, den Zugang der breiten Öffentlichkeit zu den sie betreffenden Angaben einzuschränken.

Besitzer von Briefkastenfirmen

Internationale Recherchen, die vom Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) koordiniert wurden und an denen in Deutschland neben der "Süddeutschen Zeitung" auch NDR, WDR und "Der Spiegel" beteiligt waren, zeigen nun anhand von Datenleaks und nicht öffentlich zugänglichen Dokumenten, dass Hansen in den vergangenen 15 Jahren Eigentümer, Direktor oder Verwaltungsratsvorsitzender von mehr als zwei Dutzend Firmen war, wovon einige in einschlägig bekannten Steueroasen registriert waren.

So taucht sein Name in einem früheren Datenleak, den sogenannten Pandora Papers, auf. Demnach besaß er unter anderem eine Holdinggesellschaft auf den Britischen Jungferninseln mit Aktivitäten in Luxemburg, Zypern und Russland und Vermögenswerten von mehreren Millionen US-Dollar. Hansen war auch Miteigentümer einer Firma, die in der zentralamerikanischen Steueroase Belize registriert war, wie die Pandora Papers zeigen.

Geschäfte mit russischen Milliardären

Dokumente aus Luxemburg zeigen außerdem, dass Hansen offenbar in Geschäfte mit zwei russischen Milliardären aus dem Ölbusiness involviert war. Vom Sohn eines dieser Milliardäre scheint Luxaviation im Laufe mehrerer Jahre Darlehen von zigmillionen Dollar bekommen zu haben, was den schnellen Aufstieg von einer zunächst kleinen Firma zur Nummer Zwei im Privatjetgeschäft erklären könnte.

Dem russischen Milliardär und seinem Sohn gehört auch eine Firma, die für die Gaspipeline Nord Stream II in der Ostsee Rohre verlegt haben soll.

"Angst vor Belästigungen"

Auf Anfrage legte Hansen Wert auf die Feststellung, dass er nicht geklagt habe, um irgendetwas zu verschleiern. Er habe bei völliger Offenheit der Register nur Angst vor Entführungen oder Belästigungen. Auch sei er nie für irgendjemanden als Strohmann tätig gewesen. Er bestätigte, Direktor oder Eigentümer vieler Firmen zu sein, darunter von Gesellschaften, die in Verbindung mit russischen oder irakischen Staatsbürgern standen. Er bestätigt zudem, dass Luxaviation Darlehen erhalten hat, äußert sich aber nicht bei allen Darlehensgebern dazu, wer dahinter steht.

Bezüglich des EuGH-Urteils erklärte der Luxemburger, dass er für die Schließung der Transparenzregister nicht verantwortlich sei und dies auch nicht beabsichtigt habe.

Zugang auch in Deutschland erschwert

Einige Länder schlossen ihre Transparenzregister nach dem Urteil jedoch ganz. Deutschland zog umgehend Konsequenzen: Zurzeit dürfen nur noch Personen, die ein berechtigtes Interesse nachweisen können, einen Antrag auf Einsicht ins deutsche Transparenzregister stellen. Das berechtigte Interesse muss dabei für jede einzelne Firma nachgewiesen werden. Das ist bürokratisch sehr aufwändig, die Antwort kann Wochen dauern. Umfangreiche Recherchen werden so massiv erschwert.

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages erarbeitete im Auftrag der Grünen-Fraktion eine Analyse dazu, welche Folgen das Urteil für die EU und Deutschland hat. Das Gutachten, das NDR, WDR und SZ vorab einsehen konnten, bestätigt, dass der der Europäische Gerichtshof für den Zugang zu Transparenz-Registern "die unionsweit einheitliche Definition des berechtigten Interesses als taugliches … Mittel ansieht".

Die grüne Bundestagsabgeordnete Sabine Grützenmacher sieht "dringenden Handlungsbedarf": Das laufende EU-Gesetzgebungsverfahren zur 6. Geldwäsche-Richtlinie solle nun genutzt werden, um europaweit einheitliche Nachbesserungen zu erreichen.

Banken vor großen Hürden

Der Compliance-Experte Graham Barrow sieht weit schwerwiegendere Folgen des Urteils, etwa für Banken und andere Industrien, die ihre Kunden sorgfältig überprüfen müssen, bevor sie Konten für sie eröffnen oder Bankdienstleistungen erbringen: "Früher war das recht einfach und kostengünstig, Kunden mithilfe der Register zu überprüfen", sagt Barrow. Nach dem Urteil sieht er Banken vor großen Hürden, ihre Kunden vernünftig prüfen zu können.

Noch weitreichendere Folgen sieht Barrow aber für die Länder der Europäischen Union: "Mehr Schutz vor Privatsphäre von Firmeneigentümern heißt auch mehr Schutz für Kriminelle, die nun verstärkt solche Länder in der EU nutzen könnten, in denen sie mehr Schutz davor haben, erkannt zu werden", warnt Barrow.

Auch die Generalstaatsanwaltschaft Berlin erklärt auf Anfrage, Ermittlungsbehörden müssten ebenfalls für eine Einsicht ins deutsche Transparenzregister begründete Anträge stellen, "was die Nutzung umständlich macht". Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner beklagt, dass "wir es ja oft gerade in größeren Wirtschaftsverfahren mit einer Vielzahl von Einzelfirmen und Firmenverbünden zu tun haben, die dann alle einzeln angefragt werden müssen, und alle einzeln begründet werden müssen". Folge sei ein erhöhter zeitlicher Aufwand.

Noch schwieriger wird es im Ausland. "Auf ausländische Transparenz-Register haben deutsche Ermittlungsbehörden jetzt auch keinen automatischen Zugriff mehr", erklärt Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Sie könnten nun ein Rechtshilfeersuchen stellen, was aber wieder zu mehr Bürokratie und Verzögerung der Ermittlungen führen kann.

Palina Milling, Palina Milling, WDR, 10.02.2023 06:56 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 10. Februar 2023 um 11:48 Uhr.