Rechtsstreit im Fall Reichelt Eine Kanzlei, zwei Lager
Ex-"Bild"-Chef Reichelt hat einen neuen Anwalt, um auch gegen unliebsame Berichte über Vorwürfe von Machtmissbrauch vorzugehen. Doch sein Kanzleikollege vertritt ein mutmaßliches Opfer. Die Frau wurde nach eigener Aussage nicht vorab informiert.
Zwei Anwälte aus einer Kanzlei für Medienrecht: Christian-Oliver Moser auf der einen Seite. Der langjährige Anwalt von Boris Becker, er vertrat ihn bereits gegen "Bild". Auch Cathy Hummels und Heidi Klum gehörten zu seinen Mandantinnen.
Ben Irle auf der anderen Seite. Der schreckt offenbar bereits seit Längerem nicht vor umstrittenen Mandaten zurück: Er hatte schon Österreichs früheren Vizekanzler Heinz-Christian Strache vertreten, nachdem dieser mit der Ibiza-Affäre in Ungnade gefallen war. Zuletzt setzte er sich für die Interessen der Betreiber des Berliner Bordells "Artemis" und der spirituellen Sekte "Bhakti Marga" ein.
Zusammen sind sie die beiden Anwälte, deren Namen die Kanzlei trägt: "Irle Moser Rechtsanwälte". Jetzt vertritt der eine die mutmaßliche Opferseite, der andere die mutmaßliche Täterseite - im Fall des ehemaligen "Bild"-Chefredakteurs Julian Reichelt, dem untergebene Frauen diverse Affären und Machtmissbrauch vorwerfen.
"Jede Medienberichterstattung prüfen"
Irle geht aktuell für Reichelt presserechtlich gegen zahlreiche Äußerungen der ARD-Sendung "Reschke Fernsehen" vor. Die Sendung hatte Mitte Februar über die Vorwürfe gegen Reichelt berichtet.
In der "Zeit" kündigte Irle nun auch an, juristisch gegen den Axel-Springer-Konzern vorgehen zu wollen. In einer Pressemitteilung teilte er mit: "Ich bin beauftragt, jede Medienberichterstattung zu prüfen und gegen jede Verletzung der Rechte meines Mandanten entschieden vorzugehen".
Anlass der Mitteilung sei die für diesen Mittwoch angekündigte Veröffentlichung des Romans "Noch wach?" von Benjamin von Stuckrad-Barre, der an den Skandal rund um Reichelt angelehnt sein soll.
Täter- und Opferseite parallel vertreten?
Zur anderen Seite: Christian-Oliver Moser ist seit Anfang 2021 der Anwalt einer der Frauen, die Vorwürfe gegen Reichelt erhoben hat. Derzeit vertritt er sie gegenüber Axel Springer mit ihrer Forderung nach einer Entschuldigung des Verlags. Nun gehört Julian Reichelt zu den Klienten seines Kanzlei-Kollegen. Darf das eine Kanzlei - die mutmaßliche Täter- und Opferseite parallel zu vertreten?
Die Rechtsanwaltskammer Berlin will sich nicht konkret zur Kanzlei "IrleMoser Rechtsanwälte" äußern, teilt aber mit, dass eine "Vertretung widerstreitender Interessen" für "Rechtsanwälte einer Kanzlei grundsätzlich verboten" sei. Es gebe Ausnahmen, so die Kammer mit Verweis auf die bestehende Rechtslage. Die besagt, dass für etwaige Ausnahmen die streitenden Parteien schriftlich über die Mandate informiert und diesen zustimmen müssen.
Weder Irle noch Moser wollen sich dazu äußern, ob dieser formelle Schritt in ihrem Fall erfolgt ist. Auf NDR-Anfrage antwortete Irle mit Hinweis auf seine anwaltliche Verschwiegenheitspflicht auf keine der gestellten Fragen, die sich auf eine mögliche Unvereinbarkeit der Mandate beziehen. Pauschal erklärte er, die Kanzlei handele stets in Kenntnis und unter Beachtung des Standesrechts.
Mosers Mandantin sagte dem NDR, dass sie mit dem Mandat von Irle nicht einverstanden sei und darüber auch nicht vorab informiert wurde.
Irle, der außerdem Vermieter Reichelts ist, war noch in einem weiteren Fall tätig, der nun im Gegensatz zu den Interessen seines aktuellen Mandanten stehen dürfte. Im Jahr 2016 vertrat er als Anwalt eine damalige "Bild"-Mitarbeiterin, die Reichelts Vorgänger Kai Diekmann Vergewaltigung vorgeworfen hatte.
"Reschke Fernsehen" hatte den Fall aufgegriffen, da Reichelt damals gemeinsam mit Kollegen ein Dossier über das mutmaßliche Opfer erstellt hatte: Über vermeintliche Charaktermängel, Lügen und anderes Material, das die Glaubwürdigkeit der Frau in Zweifel ziehen sollte.
Irle hatte zu Reichelts Mitwirkung an dem Dossier im Namen von Reichelt gegenüber "Reschke Fernsehen" schriftlich Stellung genommen und ausgeführt: "Einer Mitwirkung unseres Mandanten, die Glaubwürdigkeit der Anzeigenden zu erschüttern, bedurfte es nicht und eine solche gab es auch nicht" - ohne dabei auf sein früheres Mandat Bezug zu nehmen. Auch dazu äußerte sich Irle auf Nachfrage nicht.
Positionen könnten kaum weiter auseinanderliegen
Fest steht: Inhaltlich könnten die Positionen der beiden Anwälte Irle und Moser zum Fall Reichelt kaum weiter auseinanderliegen. Die Pressemitteilung von Irle trägt die Überschrift "Vorwürfe des Machtmissbrauchs nachweislich frei erfunden" und führt aus, dass die Vorwürfe der ehemaligen "Bild"-Mitarbeiterin, die das Unternehmen Axel Springer in den USA verklagt hatte, unwahr seien. Sie spielte zuletzt in der Berichterstattung eine eher untergeordnete Rolle.
So sagte Irles Kanzleikollege Christian-Oliver Moser in "Reschke Fernsehen", dass er allein mit einer zweistelligen Zahl von Frauen gesprochen habe: "Es ist also nicht so, dass es sich hier um einen Einzelfall oder ganz wenige Einzelfälle handelte, sondern meines Erachtens war das schon der Fall eines systematischen Machtmissbrauchs."
Moser sagt jetzt dem NDR: "Ich stehe weiterhin zu 100 Prozent zu dem, was ich öffentlich zu dem Fall gesagt habe." Zur Frage des Interessenkonflikts wollte er sich nicht weiter äußern. Der "Süddeutschen Zeitung" hatte er zuvor gesagt, "er vertrete seine Mandantin nur gegen die Axel Springer SE, insofern bestehe auch für ihn kein Interessenkonflikt".
Anmerkung der Redaktion: Aufgrund einer laufenden juristischen Auseinandersetzung wurde dieser Artikel im Nachhinein bearbeitet.