Russland und Belarus Viele Verfahren wegen Sanktionsverstößen
Laut SWR-Recherchen ermitteln deutsche Behörden in mehr als 100 Fällen wegen mutmaßlicher Verstöße gegen EU-Sanktionen gegen Russland und Belarus. Die Vorwürfe betreffen überwiegend die mögliche Umgehung von Ein- und Ausfuhrverboten.
Es ist ein brisanter Verdacht, dem die Staatsanwaltschaft Hannover aktuell nachgeht: Laut niedersächsischem Justizministerium ermittelt sie in einem Fall mutmaßlicher "Lieferung von Elektroartikeln über diverse Gesellschaften an das russische Militär." Nach SWR-Recherchen geht es um eine Firma, die Artikel der Marken Bosch und ZF an russische Truppen geliefert haben könnte. Nachfragen des SWR zur Menge der Artikel, zu den mutmaßlichen "diversen Gesellschaften" und zu der konkreten russischen Militäreinheit will die Staatsanwaltschaft Hannover nicht beantworten. Zu dem laufenden Ermittlungsverfahren erteile man derzeit keine Auskünfte, heißt es. Das betreffende Unternehmen weist den Vorwurf gegenüber dem SWR schriftlich zurück: "Zu keiner Zeit wurden und werden von uns Artikel an das russische Militär geliefert." Die weiteren Ermittlungen müssen nun zeigen, ob sich der Verdacht erhärtet.
Nachdem die Europäische Union die Sanktionen gegen Russland und Belarus massiv ausgeweitet hat, häufen sich die Anzeigen bei deutschen Ermittlungsbehörden wegen mutmaßlicher Verstöße gegen die Sanktionsvorschriften. Sie ermitteln aktuell in mehr als 100 Verfahren, wie eine SWR-Umfrage bei Justizministerien und Staatsanwaltschaften ergeben hat. In Hamburg werden demnach aktuell 30 Ermittlungsverfahren geführt, in Brandenburg 27 und in Baden-Württemberg 26 Verfahren. Im Saarland gibt es hingegen nur drei Verfahren, in Schleswig-Holstein zwei, in Bremen eines. Konkret ergeben sich aus den Rückmeldungen der Behörden 147 Verfahren - darunter sind auch so genannte Vorermittlungen. Tatsächlich dürfte die Zahl noch höher liegen, da einige Ministerien und Behörden keine konkreten Angaben machten.
Beschuldigte überwiegend deutsche Staatsbürger
Es geht um mindestens 59 Unternehmen, überwiegend mit Sitz in Deutschland. Bei den meisten Beschuldigten handelt es sich um deutsche Staatsbürger mit Wohnsitz im Bundesgebiet. 16 mutmaßliche Täter haben die russische Staatsbürgerschaft. Einige Beschuldigte besitzen sowohl die deutsche als auch die russische Staatsbürgerschaft.
Wie das bayerische Justizministerium bestätigte, zählt zu den 20 in Bayern geführten Verfahren - darunter auch Vorermittlungen - auch der Fall des russischen Oligarchen Alischer Usmanow. Am Mittwoch hatten Ermittler mehrere seiner Wohnobjekte in Bayern durchsucht, auch wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz. Dieses sieht Strafen von bis zu fünf Jahren vor. Hierbei kann es um Ein- und Ausfuhrverbote bestimmter Produkte aus oder nach Russland oder Belarus gehen, aber auch um Dienstleistungen für Personen oder Unternehmen, die auf der EU-Sanktionsliste geführt werden.
Verstoß gegen Ein- und Ausfuhrverbote
Laut der SWR-Umfrage geht es bei den Ermittlungsverfahren überwiegend um mutmaßliche Verstöße gegen Ein- und Ausfuhrverbote. So berichten saarländische Behörden von der versuchten Ausfuhr von Farbstoffen/Farbpulvern nach Russland. In Baden-Württemberg werden in mehreren Verfahren Textilhändler beschuldigt, hochpreisige Kleidung an Kunden verkauft zu haben, obwohl dem Verkaufspersonal bekannt gewesen sei, dass die Ware in Sanktionsgebiete ausgeführt werden sollte. Die für Rheinland-Pfalz zuständige Staatsanwaltschaft Koblenz bearbeitet einen Fall, in dem versucht worden sei, Kraftstofffilter nach Belarus auszuliefern. Ermittler in Schleswig-Holstein gehen dem Verdacht nach, eine Firma könnte für den Bau der Brücke vom russischen Festland auf die annektierte Insel Krim Personal zur Verfügung gestellt haben.
Gegenüber dem SWR betonen einige Ministerien und Behörden, in vielen Fällen handele es sich um Vorwürfe "von geringerem Gewicht". Die Staatsanwaltschaft Köln teilte mit, vielfach würden Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt. Handelten mutmaßliche Täter nicht vorsätzlich, würden Fälle wegen mutmaßlicher Ordnungswidrigkeiten an die Straf- und Bußgeldstelle des zuständigen Hauptzollamts abgegeben. Das Justizministerium Niedersachsen berichtet von einem Fall von "Import von Kochlöffeln aus Russland", den die Staatsanwaltschaft in Stade nicht weiterverfolge.