Rüstungsbeschaffung 450 Mal Korruptionsgefahr
Ein vertrauliches Lagebild des Verteidigungsministeriums, das dem WDR vorliegt, zeigt erhebliche Missstände in der Korruptionsbekämpfung. Demnach hat sich das Bundesamt für Beschaffung in Hunderten Fällen nicht an die eigenen Regeln gehalten.
Das Lagebild, das im Verteidigungsministerium erstellt wurde, ist nur sechs Seiten lang. Doch sein Ergebnis ist beunruhigend. Laut des vertraulichen Papiers vom 26. Januar, das der WDR einsehen konnte, haben sich ausgerechnet die Verantwortlichen des Bundesamtes für Beschaffung (BAAINBw) in 450 Fällen nicht an die eigenen Regeln zur Korruptionsbekämpfung gehalten. Dabei ist die Riesenbehörde in Koblenz mit ihren mehr als 7000 Dienstposten unter anderem an der Vergabe von Aufträgen in Milliardenhöhe an die Rüstungsindustrie beteiligt.
In seiner internen Überprüfung identifizierte das Verteidigungsministerium rund 2500 Stellen, die im Bundesbeschaffungsamt als "besonders korruptionsgefährdet" eingestuft werden. Beamtinnen und Beamte also, die Aufträge oder Fördermittel vergeben, häufige Außenkontakte zu Rüstungsfirmen haben, über die Verwendung von Haushaltsmitteln entscheiden oder behördeninterne Informationen bearbeiten, die für Andere nicht bestimmt sind.
Ausnahmen nur mit mehr Aufsicht
Für die Menschen, die diese verantwortungsvollen Posten bekleiden, gelten seit 2004 klare Regeln. Alle fünf Jahre müssen sie "rotieren", so sieht es eine Richtlinie vor. Entweder, indem sie auf einen anderen Posten wechseln - oder, indem sie neue Aufgaben bekommen.
Nur in Ausnahmefällen, nach einer eingehenden Prüfung, dürfen sie über die fünf Jahre hinaus ihren Job weitermachen. In diesen Fällen müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden. Etwa durch eine verstärkte Aufsicht oder ein Mehr-Augen-Prinzip. All diese Maßnahmen sollen Bestechung und Bestechlichkeit verhindern.
Maßnahmen erst nach Überprüfung
Doch in 450 Fällen durften die Bundesbeamten ihre Stellen behalten, ohne dass das Bundesbeschaffungsamt "entsprechende Rotations- oder Ausgleichsmaßnahmen geprüft oder veranlasst hätte". Sprich: Die Beschäftigten erledigten ihre sensiblen Aufgaben auch nach fünf Jahren weiter, ohne, dass auch nur eine Überprüfung erfolgt wäre. Erst im Zuge der jetzigen Überprüfung hat das Verteidigungsministerium in 440 Fällen eine Rotation oder Ausgleichsmaßnahmen veranlasst.
Das Bundesverteidigungsministerium betont auf Anfrage, gerade im Bundesbeschaffungsamt käme der Korruptionsprävention eine "herausgehobene Bedeutung" zu. Vor Jahren habe man bereits eine Ansprechperson für Hinweisgeber entsandt und die Beamtinnen und Beamten Fortbildungsveranstaltungen und Bekanntmachungen sensibilisiert. In den vergangenen zehn Jahren seien vier Korruptionsverdachtsfälle bekannt geworden, in denen Staatsanwaltschaften ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hätten.
Jährlich Aufträge in Milliardenhöhe
Nach Ansicht des Bundesrechnungshofes ist Korruptionsprävention im Beschaffungsamt besonders wichtig. So erklärt ein Sprecher der Rechnungsprüfer, das Amt vergebe jährlich Aufträge über mehrere Milliarden Euro zur Entwicklung, Erprobung, Beschaffung und Instandsetzung von Wehrmaterial. "Dadurch ergeben sich intensive Kontakte der Beschäftigten zu Industrie und Wirtschaft. Derartige Aufgaben sind grundsätzlich als besonders korruptionsgefährdet anzusehen."
Im vergangenen Frühjahr hatten die Prüfer des Bundesrechnungshofs einen Bericht veröffentlicht, der sich im Verteidigungsministerium wie eine Ohrfeige angefühlt haben dürfte und Ausgangspunkt des nun ermittelten Lagebildes war. Die Prüfer rügten schon damals die in ihren Augen mangelhaften Maßnahmen gegen Korruption. Einzelne Beschäftigte seien bis zu 28 Jahre lang auf besonders korruptionsgefährdeten Stellen verblieben.
Das Verteidigungsministerium will dem Problem nun mit einer erhöhten Fachaufsicht begegnen. So seien bereits 180 Stichproben genommen worden, ob das Bundesamt für Beschaffung rechtzeitig vor der ablaufenden Fünfjahresfrist informiert worden sei und die vorgeschriebenen Prüfungen erfolgt seien, rund 30 weitere Proben pro Monat seien künftig geplant, heißt es in dem internen Lagebild.
Erhöhte Aufsicht scheint in diesen Tagen wichtiger denn je. Schließlich gibt es durch das 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr derzeit sehr viel Geld an die Rüstungsindustrie zu verteilen.