Neue Medikamente Künstliche Intelligenz als Entwicklungshelfer?
Die Entwicklung neuer Medikamente wird immer aufwändiger und lohnt sich immer weniger. Künstliche Intelligenz könnte Pharmaunternehmen künftig dabei unterstützen, schneller neue Produkte auf den Markt zu bringen.
Alexander Fleming entdeckte eines der wichtigsten Antibiotika überhaupt, das Penicillin, weil der Nährboden einer seiner Bakterienkulturen schimmelte. Solche Zufallsentdeckungen gibt es heute kaum mehr. Pharmaunternehmen müssen Milliarden in die Medikamentenentwicklung investieren. Trotzdem scheitern rund 90 Prozent der Wirkstoffe allein in der klinischen Testphase, wenn die Entwicklung schon fast abgeschlossen ist.
Gleichzeitig brauchen wir immer mehr neue Medikamente: Die wachsende Weltbevölkerung erhöht das Risiko, dass sich neue Krankheitserreger entwickeln und verbreiten. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind alleine bei Grippe-, Corona- und HIV-Pandemien bis zu 100 Millionen Menschen gestorben - und Bakterien bilden immer neue Antibiotikaresistenzen aus.
KI kann Entwicklungsprozess deutlich verkürzen
Eine Künstliche Intelligenz, die mit Daten zu Wirksamkeit, Bioverfügbarkeit und Nebenwirkungen von bereits bekannten Wirkstoffen trainiert wird, kann Forschende unterstützen, diese Faktoren in neu entdeckten Wirkstoffen vorauszusagen.
Neue Wirkstoffe scheitern häufig, weil sich herausstellt, dass sie in der Leber die Produktion der lebenswichtigen sogenannten Cytochrome P450 (CYP450) hemmen. Diese sind für Verarbeitung wasserunlöslicher Stoffe in der Leber wichtig. Außerdem sind sie an der Synthese von bestimmten Hormonen und anderen Stoffen beteiligt.
Da oft nicht genau bekannt ist, warum die Cytochrom-Produktion gehemmt wird, kann bisher nur mit einer Erfolgsrate von etwa 60 bis 70 Prozent vorhergesagt werden, ob ein Wirkstoff die CYP450-Produktion hemmt. Mit Künstlicher Intelligenz kann die Rate auf 95 Prozent gesteigert werden. Dadurch müssen schon viel weniger Wirkstoffe die präklinischen und klinischen Testphasen durchlaufen. So könnten in Zukunft schneller und besser wirksame Medikamente mit weniger Nebenwirkungen entwickelt werden.
Eine Dezillion möglicher Wirkstoffe
Viele Wirkstoffe wurden und werden auch immer noch in der Natur entdeckt. Doch dieses Reservoir ist irgendwann erschöpft. Außerdem können synthetische Wirkstoffe oft viel gezielter auf einen bestimmten Krankheitserreger wirken und Resistenzen umgangen werden. Schätzungen zufolge gibt es so etwa eine Dezillion Moleküle, die als Wirkstoff in Frage kommen könnten.
Eine Dezillion - das ist eine eins mit 60 Nullen. Eine KI kann zwar nicht alle, aber auf jeden Fall schneller mehr dieser Moleküle untersuchen als Menschen das je könnten.
KI-Molekül-Design
Künstliche Intelligenz kann auch dabei helfen, diese Moleküle überhaupt ausfindig zu machen. Bei der großen Menge ergibt es wenig Sinn, alle Moleküle nacheinander durchzugehen und auf alle möglichen Krankheitsauslöser zu testen. Ist zum Beispiel bekannt, dass ein bestimmtes Protein an einem Krankheitsbild beteiligt ist, kann KI eingesetzt werden, um ein Molekül zu entwickeln, das dieses Protein bindet und so unschädlich macht.
Auch in der Entwicklung neuer Krebstherapien auf mRNA-Basis wird KI eingesetzt. Im Dezember veröffentlichte das US-Unternehmen Moderna eine klinische Studie, bei der eine KI Oberflächenproteine von Hautkrebszellen auswählte, gegen die dann mittels mRNA geimpft wurde. Am 10. Januar kündigte der Mainzer Pharmahersteller BioNTech an, das britische KI-Unternehmen InstaDeep zu übernehmen, um die Medikamentenentwicklung per KI im Haus auszubauen. Beide Technologien, KI und mRNA, könnten in Zukunft auch zu einer personalisierteren Medizin führen.
KI kann auch Biowaffen entwickeln
Das US-Unternehmen Collaborations Pharmaceuticals versuchte den Spieß umzudrehen: Statt Medikamente versuchten sie mit ihrer Medikamenten-KI, möglichst giftige Moleküle zu entwickeln. Ohne den Stoff zu kennen entwickelte die KI unter anderem das extrem potente Nervengift VX. Die Ergebnisse dieses Versuchs wurden im Anschluss vernichtet, aber klar ist: In den falschen Händen kann ein solches Werkzeug auch Schaden anrichten.
Noch Zukunftsmusik
Es ist unklar, wie erfolgreich die Verwendung von KI in der Pharmaindustrie tatsächlich sein wird. Einige Wirkstoffe, die mit Hilfe von KI entworfen wurden, werden bereits in klinischen Studien untersucht. So testet das britische Unternehmen Exscientia mehrere solcher Substanzen, zum Beispiel das Krebsmedikament EXS-21546 .
Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese Substanzen tatsächlich besser und weniger nebenwirkungsreich sind als traditionell entwickelte Medikamente. Es ist ebenfalls offen, ob die Entwicklung schneller und kosteneffizienter ist. Die Nutzung von KI in der Pharmaindustrie befindet sich noch in den Anfängen - und es wird noch Zeit benötigen, bis sie mit herkömmlichen Methoden mithalten kann.