Corona-Impfung
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BKK Provita-Bericht zu Impfungen Analyst steht "Querdenkern" nahe

Stand: 03.03.2022 08:52 Uhr

Einer Analyse der BKK Provita zufolge kommt es angeblich viel häufiger zu Impfnebenwirkungen als bisher bekannt. Doch laut SWR steckt hinter der Auswertung ein Mann, der sich im "Querdenker"-Milieu bewegt.

Von Von David Beck, Leila Boucheligua, Judith Brosel, SWR

Vergangene Woche hat die gesetzliche Krankenkasse BKK Provita mit einem offenen Brief an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) für Schlagzeilen gesorgt. Die Kasse, die eigenen Angaben zufolge etwa 125.000 Versicherte hat, habe Abrechnungsdaten von Ärzten aller bei den Betriebskrankenkassen versicherten Patienten ausgewertet.

Die Ergebnisse deuteten laut Kasse darauf hin, dass wohl bis zu drei Millionen Menschen in Deutschland "wegen Impfnebenwirkungen nach Corona Impfung in ärztlicher Behandlung gewesen" sein könnten. Sie veröffentlichte den Brief, der unter anderem auch an die Bundesärztekammer und die Ständige Impfkommission geschickt worden sein soll, auf ihrer Webseite und sprach darin von einem erheblichen "Alarmsignal“, eine Gefahr für das Leben von Menschen könne nicht ausgeschlossen werden.

Kritik an Methodik

Dass die zugrundeliegende Datenanalyse mehr als fragwürdig ist, wurde schnell bekannt. Der Bundesvorsitzende des Verbands der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (Virchowbund), Dr. Dirk Heinrich, äußerte in einer Pressemitteilung scharfe Kritik: "Peinliches Unwissen oder hinterlistige Täuschungsabsicht - was davon den Vorstand der BKK Provita bewogen hat, vor angeblichen Alarmzahlen bei Impfkomplikationen zu warnen, weiß ich nicht. Die Schlussfolgerungen aus der Datenlage sind jedenfalls kompletter Unfug."

Nun zeigt eine SWR-Recherche: Die vermeintlich alarmierende Datenanalyse der gesetzlichen Krankenkasse hatte ein in der "Querdenker"-Szene gefragter Interviewpartner durchgeführt, der dort schon mehrfach mit fragwürdigen Methoden und vor allem stimmungsanheizenden Analysen auffiel. Im Dezember veröffentlichte er im Rubikon-Verlag das Buch: "Die Intensiv-Mafia: Von den Hirten der Pandemie und ihren Profiten". Bei einem SWR-Interview am vergangenen Montag mit dem Unterzeichner des Alarmbriefs und langjährigen Vorsitzenden der Krankenkasse, Andreas Schöfbeck, stellte dieser Tom Lausen als Datenanalyst der BKK Provita vor. Während des Video-Interviews präsentierte und erläuterte Lausen seine Auswertungen.

Ob es sich bei den vermeintlich untererfassten Nebenwirkungen nach einer Coronaschutzimpfung um schwere oder leichte Fälle handelt, wurde im Gespräch mit dem SWR nicht ersichtlich. In der Analyse wurden Diagnose-Codes untersucht, die Ärzte zur Abrechnung mit der Krankenkasse verwenden. Das bedeutet, dass alle Fälle, bei denen sich Patienten nach der Impfung zum Beispiel mit grippeähnlichen Symptomen haben krankschreiben lassen, in der Analyse mit ernsthafteren Nebenwirkungen gleichgestellt wurden.

Verdachtsfälle müssen erst geprüft werden

Ebenso ging aus der vorgestellten Analyse keine Unterscheidung von Verdachtsfällen und tatsächlich bestätigten Nebenwirkungen nach einer Impfung hervor. Wie die Bundesärztekammer auf SWR-Nachfrage mitteilte, handle es sich bei solchen von Ärzten vorgenommenen Meldungen "um Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, bei denen im Einzelfall der Kausalzusammenhang nicht belegt ist".

Erleide eine geimpfte Person im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung Symptome, so könne es sich auch um ein rein zufälliges Zusammentreffen handeln.

Dass der in der "Querdenker"-Szene bekannte Lausen die Analyse durchgeführt hat, wurde von der Kasse öffentlich nicht thematisiert. Und auch Lausen hielt sich in Zusammenhang mit der Veröffentlichung bislang, abgesehen von der Teilnahme am SWR-Interview, im Hintergrund, was angesichts seiner sonst zahlreichen Interviews in "alternativen Medien" überrascht.

BKK Provita lässt Fragen unbeantwortet

Hatte die BKK Provita die Datenanalyse bei ihm in Auftrag gegeben? Oder hatte er sich an die Kasse gewandt, um seine vermeintlich alarmierende Analyse unter dem Deckmantel einer gesetzlichen Krankenkasse zu veröffentlichen? Fragen, auf die der SWR von Lausen, der BKK Provita und Andreas Schöfbeck keine Antworten erhielt. Lausen beantwortete dem SWR keine der schriftlich gestellten Fragen, schrieb jedoch, er fordere, "dass der SWR endlich seine Arbeit aufnimmt". Seine Person sei dabei "völlig unwichtig“.

Der Verwaltungsrat der BKK Provita entließ den bisherigen Vorsitzenden Schöfbeck am Dienstag mit sofortiger Wirkung, nahm den öffentlichen Brief an das Paul-Ehrlich-Institut von seiner Webseite, löschte auch alle weiteren zuvor hier veröffentlichten Pressemitteilungen dazu.

Den vom SWR gestellten Fragenkatalog ließ die Kasse trotz mehrmaliger Nachfrage unbeantwortet, schickte nur die Dienstagabend veröffentlichte Pressemitteilung. Darin hieß es, dass sich die BKK Provita von ihrem Vorsitzenden Schöfbeck mit "sofortiger Wirkung" trenne und dass man um Verständnis bitte, dass man sich "zu den verschiedenen Hintergründen dieser Personalentscheidung aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht weiter äußern“ werde.

Fragwürdiges Vorwort schon 2021

In "Querdenker"-Gruppen des Messenger-Dienstes Telegram fand die Entlassung des ehemaligen Vorsitzenden Schöfbeck große Aufmerksamkeit. Der Tenor: Weil der Vorsitzende einer Krankenkasse unangenehme Fragen gestellt habe, mache "das System“ ihn nun mundtot. So hieß es dort beispielsweise in einem von tausenden Kommentaren: "Das dachte ich mir schon, dass dieser mutige Mensch abgesägt wird. Wenn er sich seiner Sache nicht sicher gewesen wäre, dann hätte er geschwiegen."

Es ist nicht das erste Mal, dass Schöfbeck mit bekannten Impfgegnern in Erscheinung tritt. Für das Buch "Corona-Impfstoffe - Rettung oder Risiko" von Clemens Arvay schrieb der damals noch Krankenkassenvorsitzende im Januar 2021 das Vorwort. Darin stellte er in Frage, ob es "ausreichend Studien zur Wirksamkeit und Nebenwirkungen" gäbe und ob es zu verantworten sei, "so viele Menschen, ohne die Erfahrungen von Langzeitstudien zu impfen" - Fragen, die auch immer wieder von "Querdenkern" aufgeworfen werden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 17. Januar 2022 um 05:50 Uhr.