Beitrag zur Demenzforschung So funktioniert das hirneigene GPS
Forschende aus Österreich haben in einem Experiment herausgefunden, wie die räumliche Orientierung genauer funktioniert. Die Ergebnisse könnten zur weiteren Erforschung von Demenz beitragen.
In alltäglichen Situationen muss man sich ab und zu auch durch Menschenmengen navigieren, sei es durch die belebte Fußgängerzone oder entlang eines überfüllten Bahnsteigs. Dafür ist im menschlichen Gehirn ein bestimmter Bereich zuständig, in dem auch die sogenannten Rasterzellen zu finden sind.
Welche Teile des menschlichen internen Navigationssystems für die räumliche Orientierung und das Verfolgen von Bewegungen anderer Menschen zuständig sind, hat ein Forscherteam aus Österreich mithilfe virtueller Realität und der funktionellen Magnetresonanztomografie genauer untersucht.
Rasterzellen für räumliche Orientierung
Rasterzellen sind eine Vielzahl von Zellen im Gehirn, die für die räumliche Orientierung und das räumliche Gedächtnis wichtig sind. Sie ermöglichen es, Räume wie ein Koordinatensystem mit Längen und Breiten zu erstellen und im Gehirn abzuspeichern. Für die Entdeckung dieser Zellen wurden 2014 John O'Keefe sowie May-Britt und Edvard Moser mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
Rasterzellen liegen im entorhinalen Cortex. Das ist ein kleiner Bereich im mittleren Schläfenlappen. Dieses Hirnareal ist unter anderem zuständig für die Steuerung von Gedächtnis und Emotionen. Nur die Erregungen, die der entorhinale Cortex weiterleitet, führen zu einer Speicherung eines Reizes im Gedächtnis.
Bisher war bekannt, dass die Rasterzellen die momentane und auch vorangegangene eigene Position mit Blickrichtung und Standort erfassen. Dadurch entsteht eine Art imaginäre Karte im Gehirn. So besitzt jeder Mensch ein Areal in seinem Gehirn, das wie eine Art GPS wirkt und in dem die Rasterzellen eine wichtige Rolle spielen.
Beitrag zur Demenzforschung
Gerade dieses menschliche GPS ist aber vom Alterungsprozess und vor allem bei einer Demenzerkrankung betroffen. Der Untergang dieser Zellen ist für Merkfähigkeitsstörungen bei Demenz verantwortlich. Die Wissenschaftlerin der Universität Wien und Studienautorin Isabella Wagner verdeutlicht: "Die Funktion von Rasterzellen nimmt mit dem Alter und bei Demenz ab. Das führt dazu, dass sich Personen nicht mehr zurechtfinden und die Orientierung beeinträchtigt ist."
Daher können die Forschungsergebnisse, die kürzlich im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht wurden, auch zur weiteren Demenzforschung beitragen.
Hirnaktivität untersucht
Die österreichischen Forschenden haben überprüft, welche Teile des menschlichen Navigationssystems für das Verfolgen von Bewegungen anderer Menschen zuständig sind.
Das Forscherteam untersuchte dazu die Gehirnaktivität von 60 gesunden Versuchspersonen mit der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT). Durch ein starkes Magnetfeld werden Schichtbilder des menschlichen Körpers erzeugt. Die Wissenschaftler können damit ohne Röntgenstrahlung dem Gehirn beim Arbeiten zuschauen. Denn das fMRT kann zwischen aktiven und inaktiven Bereichen unterscheiden.
In einer virtuellen Wüstenlandschaft sollten die Testpersonen verschiedene Wege eines anderen Menschen beobachten. Dann wurden sie aufgefordert, diese Wege virtuell nachzugehen. Währenddessen zeichnete das fMRT die Gehirnaktivitäten auf.
Neue Erkenntnisse und weitere Forschungsansätze
In den Aufnahmen zeigte sich, dass die Gehirnaktivität beim Beobachten und Nachverfolgen anderer vergleichbar ist mit der Gehirnaktivität beim eigenen Bewegen. Erstaunlicherweise fanden die Forschenden auch heraus, dass die Aktivität in den Orientierungsnetzwerken des Gehirns umso geringer war, desto besser die Testperson der Bewegung der anderen Person folgen konnte.
Die Interpretation des Forscherteams um Wagner: Die Rasterzellen können die gestellte Beobachtungsaufgabe effizienter lösen, sodass das gesamte Hirnareal des menschlichen Navigationssystems weniger beansprucht werden muss. Die Forschenden konnten mit diesem Versuch somit dokumentieren, welche wichtige Rolle Rasterzellen bei der Wahrnehmung anderer Menschen spielen.
Rasterzellen auch für Gesichtserkennung?
Genau an dieser Stelle wollen die Forschenden der Universität Wien nun weiterarbeiten. Ihr Verdacht: Die Rasterzellen könnten auch an der Erkennung von Gesichtern beteiligt sein. Denn neben der Orientierungslosigkeit kann es bei einer Demenzerkrankung auch dazu kommen, dass vertraute Gesichter nicht mehr erkannt werden.